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Mirroring

DE

“Mirroring” ist eine Begegnung mit der Tänzerin und Choreografin Josephine Findeisen, den Eigenschaften ihrer Körperlichkeit, ihrer Energie und Stimme, welche als zarte Spuren Teil einer detaillierten, sinnlich-poetischen Zeichnung werden. Ihre Bewegungsrecherchen zu Händen und Armen treffen dabei auf Isabelle Schads fortlaufende choreografische Praxis um die universelle Kraft der Hände, um Prinzipien der Schwerpunktverlagerung und des Aikido. In “Mirroring” hebt, zieht und dreht Findeisen Metallplatten: schwere Materialien werden zu ihrem Instrument, ihrer Kleidung oder zur Verlängerung ihres Körpers. In einem reflektierenden Raum entfalten sich nach und nach hybride Zusammenhänge zwischen Gewicht und Klang, Arbeit und Sinnlichkeit, Stimme und Echo.

EN

“Mirroring” is an encounter with dancer and choreographer Josephine Findeisen, including her physical qualities, energy, and voice, which become the delicate traces of a detailed, sensual, and poetic drawing. Her movement research on hands and arms meets Isabelle Schad’s ongoing choreographic practice around the universal power of the hands, the principles of shifting the centre of gravity and aikido. In “Mirroring”, Findeisen lifts, drags, and spins metal plates: heavy materials become her instrument, her clothing, or even an extension of her body. Hybrid relationships connecting weight and sound, labour and sensuality, voice and echo gradually unfold in a reflective space. 

Konzept, Choreografie: Isabelle Schad / Kreation, Performance: Josephine Findeisen (Tanz, Co-Choreografie, Stimme), Raoul Lesage (Sound & amp / live Komposition) / Lichtdesign: Fabian Bleisch / Kostüme: Charlotte Pistorius / Set Design: Umberto Freddi, Isabelle Schad / Stimmarbeit: Ignacio Joaquin / PR, Vermittlung: Elena Basteri / Social Media: Rike Nölting/ Produktionsleitung: Heiko Schramm

Produktion: Isabelle Schad; Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer, PACT Zollverein
Gefördert durch: Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes Berlin, Unterstützt durch: NATIONALE PERFORMANCE NETZ. Koproduktionsförderung Tanzgefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

All pics © Dieter Hartwig, all rights reserved














HAU Hebbel am Ufer (HAU3), Tempelhofer Ufer 10, 10963 Berlin
hebbel-am-ufer.de

Zwischen Schatten und Phantomen: Wirklichkeiten und ihre Spuren

Mit dem Showing „Mirroring“ gaben Isabelle Schad und Josephine Findeisen am 17. Dezember 2022 in der Tanzhalle Wiesenburg erste Einblicke in ein zukünftiges Solostück: ein Gefüge aus Körperbewegungen und ihren visuellen und akustischen Spuren. Schwere, unhandliche Metallplatten säumen die hintere und linke Studiowand, kalt und abweisend bilden sie eine doppelte Mauer, die unverrückbar scheint. Ihre mal stumpfe, mal changierende Oberfläche lässt Lichtreflexionen zu, ohne aber wirklich widerzuspiegeln. Die Tänzerin Josephine Findeisen stemmt sich gegen sie, Platte für Platte setzt sie ihr Körpergewicht gegen das feste und dichte Material ein, das nicht nachgibt und keine Verschiebung erlaubt. Immer wieder rutschen ihre Füße auf der weichen Oberfläche der Aikidomatten weg, die einen kleinen Bühnenraum bilden. Wie Geister erscheinen ab und zu Josephines Schatten an der Wand und verstärken die kalte, abweisende und entrückte Atmosphäre, in der das work-in-progress Showing von „Mirroring“ in der Wiesenburg beginnt.

Ein fast leerer Bühnenraum, ein verlassener Nicht-Ort, begrenzt durch diese mysteriösen Metallformationen, die nicht spiegeln, aber stumpf das Licht reflektieren, in denen irgendwo eine Präsenz von etwas, das mal da war oder von dem wir glauben, da gewesen zu sein, durchschimmert? Ein Eindruck, der zwar auch visuell aber vor allem akustisch inszeniert wird. DennJosephine Findeisens Bewegungen hinterlassen akustische Spuren: eingefangen (im Moment ihres Auslösens) von im Boden verteilten Mikrofonen bilden sich Tonspuren. Diese erweitern gleichzeitig den Raum durch das Verhältnis zur Physikalität des sich bewegenden Körpers, und verschieben auch unser Gefühl von Zeit. Weniger als eine Abfolge von Loops, sondern vielmehr als ein kontinuierliches Auslösen, Anordnen und Auflösen von Klangfragmenten suggerieren sie eine zeitliche Disjunktion: Loops, die im Moment ihrer Materialisierung sogleich wieder zerfallen. „Sound and image flakes falling like luminous grey snow – falling softly from demagnetized patterns into blue silence.”, heißt es irgendwo bei William S. Burroughs in The Ticket that Exploded.

Irgendwann dann gelingt es Josephine eine der Platten aus ihrer Position zu lösen. Sie hebt sie an, schleift sie über den Boden und nimmt sie in ihre Arme. Den Oberkörper über die jetzt ausgeleuchtete Platte gebeugt, scheint sie tief in ihre eigenen verschwommenen Reflexionen der metallenen Oberfläche hineinzublicken. Raumgrenzen legen sich übereinander – und öffnen sich. Hinten an der Studiowand tritt eine Schattengestalt klar und deutlich in Erscheinung: Als Spiegelung, als Gespenst, als eine Spur, als illusionäre Öffnung, in der sich Erinnerungen an nicht eingelöste Vergangenheiten und ein gespenstischer Vorschein auf eine Zukunft, die uns vielleicht ereilt, übereinanderlegen. Spiegelungen, Schatten und ihre Verzerrungen erweitern den Raum in multiple Richtungen, eröffnen zeitliche Tiefen und mögliche Metamorphosen …

Zum ersten Mal habe ich Josephine Findeisen 2016 in Isabelle Schads Gruppenstück „Pieces & Elements“ auf der Bühne gesehen. Ich wohnte damals schräg gegenüber von der Wiesenburg, studierte noch und schrieb eine (mir heute schwer verständliche) Seminararbeit, in der ich Vorgänge aus der Quantenphysik (wohin ist dieser Hype eigentlich verschwunden?) und Karen Barads Konzepte der Diffraktion und Intra-aktion mit genau diesem Stück in Verbindung setzte. Darin schrieb ich: „Die Performer*innen interagieren nicht – weil sie keine Individuen sind – sie intraagieren – weil sie nur Körper sind, die mit anderen Körpern im Raum sich wechselseitig hervorbringen.“ Kritische Anmerkung damals von meinem Dozenten: „Präziser formulieren: weil sie nicht mit ihrer Individualität partizipieren – oder so.“ Sechs Jahre und einige Gruppen- und Soloarbeiten später sind es in der Recherchephase von Isabelle Schads „Mirroring“ vor allem die klang-räumlichen Gefüge, ihre Verschränkung mit Phantomen und Schattengespenstern, die die Grenzen zwischen Selbst und Umgebung, zwischen Wirklichkeiten und ihren Spuren verschieben.


The – political – reflection, is it in my eyes or in the piece I am watching?

By Forough Fami

Mirroring is a solo dance piece by Isabelle Schad in collaboration with Josephine Findeisen which premiered in Berlin in November 2024.

Beyond the integration of the martial-arts principles and techniques which are usually strongly present in Isabelle Schad’s creations, this work embodies other elements that open the work up to metaphorical readings as well.

Mirroring defines a world inhabited by the solo dancer Findeisen. Beige-green mats and two rows of free-standing black walls delineate one corner of this world space. The rest is deliberately kept open in the direction of the audience.

The solo protagonist moves playfully within and on the edge of this world. She moves on the mats, and hides/rests under them. There are metal plates leaning against the walls and on the floor between the mats.

As Findeisen moves in this empty world, she mobilises her reflections from different directions in the metal plates with their different mirroring opacities.

The piece derives its name from the functions of these heavy plates, which Findeisen sometimes carries, wielding them to illuminate the space, or uses as a starting platform for the movements or as tools to create an image of another self or a hybrid body.

Throughout the piece, Findeisen’s movements and presence oscillate between two personas.

At times she is playful, engaging the audience with gestures of kindness and warmth, embodying a figure of connection and openness. At other moments she incorporates focus and resolve, channelling the technical rigour of martial arts.

As I watch these personas reflected in the mirrors, something unfolds for me spatially. Through these personas I recognise two intersecting vectors: the vertical, rooted in gravity and discipline, and the horizontal, rich in openness, affect and emotional resonance.

This spatial recognition influences my perception and how I continue relating to the piece. I assume Findeisen’s movements are organised around these two vectors and that these qualities intersect and hold the piece.

Sitting in HAU3, at the back of my mind I’m busy with the intersection of discipline and emotion. For some reason – perhaps due to the dark amplified resonances of current political realities – the combination of vertical and horizontal vectors makes me think of what I can imagine as a resistance model in the world outside of the theatre. A model in which practicalities – actions, strategies and logistical frameworks – and affects – emotions, relational dynamics and empathetic engagement – could coexist and weave sustainable yet resilient nets. Checking the programme note, I find no overt message or prescriptive narratives.

I’m intrigued! In front of a world opened up by Isabelle Schad and Josephine Findeisen, I trace back my thoughts. How have I ended up with these thoughts, here? And what quality of the piece is facilitating these projections?

I look around me. I try to imagine what other audience members are seeing and in which direction their thoughts are wandering.

I’m brought back to the piece by Findeisen’s voice. She’s kneeling towards the audience between the edge of a mat and a metal plate and is sensually projecting a subtle high-pitched feminine voice into the space. Her face is down and her long hair covers her face and front body. The voice continues during the engagement of her hands with her hair. Her gentle strokes gradually transform into repetitive sharp ones. One moving image dissolves into another; caresses transform into martial movements as if she is cutting out ringlets of hair.

Her voice merges with the rough industrial electronic soundscape, which gradually unravels, losing its rhythm and structure. As this soundscape dissolves, the ending hints at the beginning and the protagonist finds rest beneath the same mat from which she first emerged.

As Mirroring concludes, I’m still in a suspended state of reflection, adrift.

I’m contemplating the differences between possible artistic approaches to political discourse. Is the political confined to the explicit?

In critical times, like now, there is a crucial necessity for direct and clear positioning. Yet I also feel the urgency of practicing relationality – of fostering connections and openness to avoid the pitfalls of rigid frameworks and fixed stances. These two approaches – direct positioning and relational practices – are not oppositional but complementary; they must coexist.

This brings me back to the vectors of Mirroring: discipline and affect. There is an affinity between these qualities. Discipline reflects the structure and resolve required for direct action, while affect embodies the openness and emotional engagement necessary for connection and dialogue.

While Mirroring does not explicitly present itself as a political work, I experienced it as a constructed world deliberately open – a playground for practising relational reflection.

As I leave the theatre with the rest of the audience, I find myself still curious to know how they experienced it? Is the – political – reflection in my eyes, or in the piece I was watching?

The text was published on stream-writing.de and can be read here. December 2024