Good Work was initiated by Isabelle Schad, Bruno Pocheron and Ben Anderson in 2003.
It is an international experimental performance project concerned with the presentation, representation and perception of the body on-stage as well as its status and exposure in society. Good Work starts by forming a collaborative research in ideas, then develops and spreads these towards the realisation of a series of public performances in Europe and in Canada.
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The shape of Good Work is formed through a series of collaborations each involving one or more of the initiators of Good Work and one or more performance artists of the formed network. The performances resulting from the working process are presented either independently or as a cognitive series of works built on the following themes:
– Peripheral Vision / Frontal Image – Can the world be contained in framed images?
– Discipline / Authority – How far do images format reality and ourselves?
– Thinking body / Represented Body – How does the body exist beyond its representation?
– Identity / Quotation – Can the performing body move freely between the private and the public?
– Audience / Stage – What kind of public space can be created in the duration of the performance?
This network involves at the present moment the following artists (in alphabethical order): Ben Anderson (Australia / Berlin), Martin Bélanger (Canada, Montreal), Susanne Beyer (Germany, Berlin), Nuno Bizarro (Portugual / Paris), Thomas Charbonnel (France), Frederic Gies (France / Berlin), Hanna Hedman (Sweden / Paris), Benoît Lachambre (Canada, Montreal), Bruno Pocheron (France / Berlin), Manuel Pelmus (Bucarest, Rumania), Isabelle Schad (Germany, Berlin), Heiko Schramm (Germany, Berlin), Rut Waldeyer (Germany, Berlin), all of them working internationally with their own projects in the fields of choreography, performance arts, visual arts, sound, spatial design or production management.
Each performance produced in the frame of Good Work is approached as a collegial concept development involving several collaborators. This work on concept and related ideas takes in account all the different elements that will constitute the performance (choreographic material, spatial, visual and sound design etc…). The actual realisation of these elements is then shared between the artists involved in relation to their specific fields of research and practices.
Good Work proposes, through its horizontal working structure, an open circulation of ideas, knowledge and information, body practices and choreographic writings. It aims to explore and promote non-hierarchical working methods that fit to the reality of contemporary performance-making where many different research fields such as cultural theories, digital technologies or body practices are closely interacting and influencing each other. It also aims to define an ideological line for making work in a collaborative process.
Good Work is thought as a tool to communicate this ideology (that is close to the “open source” approach existing in software development) to the public and the cultural and institutional interlocutors. Therefore each work produced within Good Work is co-signed by all the artists who have been developing the ideas and sharing the tasks towards its realisation, without establishing any hierarchy between them or their practices.
Politische Landschaften
Die Künstlerplattform Good Work kreiert in „Still Lives“ Echoräume für Städte und ihre Bewohner
Text: Constanze Klementz
Im Zentrum von „Still Lives“, einem Projekt des internationalen, in Berlin basierten Kollektivs Good Work steht eine Fotografie, die man nicht sieht. „The Stumbling Block“ des Bildenden Künstlers Jeff Wall taucht nicht auf an einem Abend, der doch um diese Aufnahme kreist. Walls Bild zeigt scheinbar eine gewöhnliche Straßenszene vor dem Asphaltgrau großstädtischer Häuserschluchten. Jemand stürzt. Passanten laufen weiter. Manche sehen weg, andere hin. Doch warum trägt einer eine Art Eishockeyrüstung und sitzt ein anderer im Anzug auf dem Pflaster?
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Die choreografische Inszenierung „Still Lives“ nutzt dieses Potenzial. Es berührt im Kern dieselben Fragen, die das von Isabelle Schad, Bruno Pocheron und dem Architekten Ben Anderson 2003 gegründete transdisziplinäre Produktionslabel zusammenhält. Können Körper die Macht der Bilder, in denen sie repräsentiert werden, unterlaufen? In welcher Hinsicht schafft jede Wahrnehmung von Realität eigene Realitäten? Und vor allem: Wie lässt sich die gesellschaftliche Verflochtenheit von Verhältnissen und Individuum, Kontext und Handlung künstlerisch ins Bewusstsein bringen? Good Work hat einen klaren politischen Standpunkt und daher die Form einer „horizontalen Arbeitsstruktur“, was bedeutet: Konzepte und Stücke werden gemeinsam als Gruppe entwickelt. Projektweise stoßen Tänzer und Lichtdesigner, Videokünstler oder Architekten dazu.
Wenn Schad, Pocheron und die Good Work verbundenen Choreographen Manuel Pelmus und Frédéric Gies für „Still Lives“ in europäischen Städten Menschen auf der Straße zur spontanen Bildbeschreibung auffordern, erhalten sie berührend persönliche Aussagen. Gerade weil es nie um private Befindlichkeiten geht, sondern immer um „The Stumbling Block“. Der Zugriff der Befragten auf das Bild bezeugt vor allem ihre eigene Perspektive, was sie umgibt, was sie bewegt: ökonomische Existenzangst, soziale Gewalt, theoretische Debatten, manchmal auch nur die Sattheit bürgerlicher Kunstbetrachtung. Trotzdem erzeugte „Still Lives“ mit jeder seiner bisher sieben Stationen in Bukarest, Halle, Lille, Essen, Berlin, Hannover und Antwerpen kein neues repräsentatives Städtebild, sondern imaginäre Landschaften.
Bereits in „California Roll“ (2006 auf der Tanzplattform Stuttgart) beschäftigten sich die drei Good-Work-Gründer und die Performerin Hanna Hedman, mit dem Phänomen der Landschaftlichkeit. Die Landschaftsmalerei der Renaissance verknüpfte mit dem Begriff die Wahl eines Ausschnitts, den ein Gemälde aus der natürlichen Gesamtheit trifft. Erst der Blick des Malers macht aus Natur ein spezifische „Landschaft“. Eine solche haben Schad, Hedman und Pocheron in „California Roll“ angelegt. Sie besteht, soweit das Auge reicht, aus Bergen von Kleidungsstücken, auf denen sich die Drei wie auf einer farbigen Palette bewegen. Körper schälen sich auf dem Untergrund heraus und versinken in der Fläche. Dem Moment, in dem sich ein Bild herstellt, gilt das Interesse, stamme es nun aus dem Fundus klassischer Malerei oder alltäglicher Körperassoziationen. Schon damals ging es um eine Durchlässigkeit der Grenze zwischen dem so genannten Künstlerischen und Realen.
Die gesellschaftliche Realität des Choreografen ist die choreografische Produktion. Aus dieser Überzeugung gehen bei Good Work künstlerische mit strukturellen Fragen Hand in Hand. Die Projekte spiegeln in der Methode ihrer Erarbeitung den aktivistischen Kern wider, der die lose Formation zusammenhält. Den Begriff „Kollektiv“ mit seinen missverständlichen Romantizismen benutzt Isabelle Schad ungern. Good Work entstand in einer Phase, als ihr selbst der Glaube an kollektives Produzieren gerade völlig abging. Ihr Solo „Switch Position Freeze Control“, eine Studie zum Thema Selbstbeobachtung, hatte sie 2001 auch deshalb allein realisiert. Trotzdem setzt sie sich mit Bruno Pocheron und Ben Anderson zusammen und formuliert ein Plädoyer, unter welcher Bedingung sich eine nicht-hierarchische Zusammenarbeit realisieren ließe. Es ist die heikle Balance zwischen Eigenständigkeit und Verantwortung. Die Drei verschickten den Text an Kollegen. Er wurde zum Gründungsmanifest von Good Work, mit dem die Cie. Isabelle Schad mittlerweile fusioniert ist.
„Still Lives“ ist das bisher größte Projekt von Good Work. Die Interviews werden choreografisch für die Bühne bearbeitet. Jeweils vor Ort bringt ein öffentlicher Aufruf freiwillige Laien vom Jugendlichen- bis Senioren-Alter zu einem Workshop zusammen. Einfache Bewegungsaspekte wie das Fallen, Gehen oder Stillstehen werden den Bildbeschreibungen entnommen und in Aktionsmuster für die Gruppe umgesetzt. Manchmal wirken sie theatralisch. Doch oft bilden das abwesende Bild, die ungemein körperlichen Stimmen und die anwesenden Körper einen erzählerischen Hohlraum, der in letzter Konsequenz mit so poetischer wie politischer Energie die Imagination des Zuschauers im Theater anspricht. Mit seinem Ausgreifen in Stadträume und seiner sinnlichen Dichte verbindet „Still Lives“ Kunst- mit Wirklichkeitserfahrung und stellt ihre gegenseitige Durchdringung zur Disposition.
(Januar 2008)
Good Work Productions
Um ihrem gemeinsamen künstlerischen Schaffen einen Rahmen zu geben begründeten Ben Anderson, Bruno Pocheron und Isabelle Schad im Jahre 2003 Good Word Productions (GW), ein stetig wachsendes Netzwerk von Performance-Künstlern mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen und Tätigkeitsbereichen, das zur Zeit 12 Personen umfasst.
Die interdisziplinäre Ausrichtung der GW, die ihren Namen aus dem Film „Beau travail“, einem Werk der französischen Regisseurin Claire Denis, ableiteten – in dem schmerzhaft ironisch die Konstruktion von Welt- und Gesellschaftsbildern thematisiert wird, wobei Körper und Kunst eine wichtige Rolle spielen – ist schon in den Biografien der Gründungsmitglieder angelegt: Ben Anderson, Filmemacher und Bühnenbildner, betätigt sich in den Bereichen Architektur, Film und Performance.
Bruno Pocheron ist Performer sowie Licht-& Bühnendesigner. Er kooperiert mit Tänzern und Performern wie Martin Spangberg, Eszter Salomon, Xavier Le Roy etc.
Isabelle Schad war nach ihrer klassischen Tanzausbildung in diversen Kompanien aktiv, schuf eigene Choreografien, entwickelt seit 1999 Produktionen in Zusammenarbeit mit namhaften Choreografen, Performern, Musikern und visual artists, und ist seit der Gründung der GW intensiv mit der Realisierung deren vielfältiger Projekte befasst.
Den Ausgangspunkt des Netzwerkschaffens bilden der ununterbrochene Erlebnis- und Erfahrungsaustausch seiner Mitglieder und die kollektive Ideensammlung. Verdichten sich Ansätze zu konkreten Arbeiten werden diese von variierenden Teilen der Gruppe ausgestaltet, wobei jede/r der Beteiligten sein/ihr Wissen, kulturellen und sozialen Kontext, Blick und Bewusstsein, und nicht zuletzt den eigenen Körper einbringt.
Für den langwierigen Prozess der Umsetzung entwickelter Ideen sind die Charakteristiken eines Netzwerkes von immenser Bedeutung, da alle Beteiligten ihre, in den verschiedenen Heimat- oder Arbeitsschwerpunktländern geschaffenen, Infrastrukturen (Probenräume, Kontakte zu Spielstätten, Wissen um Unterkünfte etc.) zur Verfügung stellen, was für das Überleben einer freien, auf Projektförderung angewiesenen, Künstlergruppe unabdingbar ist. Durch die Kooperation mit ortsansässigen Kollegen wird das Netzwerk zusätzlich erweitert.
Momentan richten sich die Bemühungen der GW verstärkt auf die Interaktion mit nicht-Künstlern; das aktuell entwickelte Projekt „Still Lives“, welches nach Essen und Bukarest (Rumänien) nun in Lille (Frankreich) und Halle Station macht, basiert beispielsweise auf aufgezeichneten und sowohl dramaturgisch als auch choreografisch bearbeiteten Äußerungen von Passanten, die mit Jeff Walls Fotografie “The Stumbling Block” von konfrontiert wurden. Wahrnehmung und Präsentation, Körperbilder und Körpererfahrungen, Beziehungen zwischen Selbst und Umwelt, sowie Sichtweisen und Blickwinkel innerhalb eines sich wandelnden sozio-politischen Kontextes bilden das Interessenzentrum der GW und ihrer künstlerischen Forschung.
Darüber hinaus bemühen sich die GW-Mitglieder der in der Kunst- und Performanceszene zunehmenden Tendenz zur Massenproduktion entgegenzuwirken. Ihre Performances werden an die jeweiligen Lebens- und Erfahrungssituationen der Künstler angepasst, „mitgelebt“, statt als vergangener Trend, als nicht mehr zeitgemäß verworfen.
Die Materialisierung dieses Grundgedankens ist ein Bestandteil von „California Roll“, des auf der diesjährigen Tanzplattform in Stuttgart präsentierten Erstlingswerks der GW, das die Konsumgesellschaft mit ihrem Negativ konfrontiert. Aus abgelegten Kleidungsstücken, die Zeitgeist und Modediktat nicht mehr entsprechen, wird eine Landschaft kreiert, und von den Performern (Hanna Hedman, Bruno Pocheron, Isabelle Schad) auf vielfältige Weise genutzt. Sie erforschen, betrachten, probieren, erfinden – und schaffen für den Zuschauer Möglichkeiten und (Zwischen-)Räume an es ihnen gleichzutun, sich immer neu zu Positionieren; gegenüber der Welt auf der Bühne und mit Hilfe des gebotenen Bezugsrahmens vielleicht auch in der ganz realen Lebenswelt.
(Tanzplattform 2006)
Gemeinschaft und Partizipation im Tanz
AKTUELLE TENDENZEN BEIM FESTIVAL „TANZ MADE IN BERLIN”
Von Pirkko Husemann
Berlins Tanzszene ist derzeit ganz heftig in Bewegung. Neue Veranstaltungsorte wie das Radialsystem von Sasha Waltz oder Studiengänge wie der Bachelor für zeitgenössischen Tanz sprießen aus dem Boden. Bewährte Festivals spezialisieren sich zunehmend auf bestimmte Zielgruppen. So gibt es neben dem jährlichen Veranstalter-Shopping Tanz im August, dem über die Grenzen des Tanzes blickenden Context-Festival und der Nachwuchsplattform der Tanztage seit 2000 die alle zwei Jahre stattfindende Tanznacht in der Akademie der Künste. Was ursprünglich mangels eines ordentlichen Budgets für ein eigenständiges Festival erdacht wurde, hat sich nun mit der vierten Ausgabe zum dicht gepackten Programm für das Label Tanz made in Berlin gemausert.
Die von der Leipzigerin Heike Albrecht kuratierte Tanznacht selbst geriet angesichts der in der Zeit vom 1. bis 17. Dezember gezeigten vierzig Produktionen an 22 Spielstätten eher in den Hintergrund. So stellt sich auch die Frage, ob man der ungeheuer vielfältigen Berliner Tanzszene mit diesem Format noch gerecht wird. Was erwartet man von Künstlern, wenn man sie bittet, zehnminütige Szenen zu erarbeiten, um sie einem Publikum in Blockbuster-Laune zu präsentieren? Und was fordert man andererseits von Zuschauern, wenn man sie auf eine siebenstündige Reise durch ein äußerst heterogenes Programm schickt? Kein Wunder also, dass Thomas Lehmen auf der Bühne dem Publikum den Rücken zuwendet. Verständlich auch die Reaktion der Zuschauer, die ihn dafür ausbuhen. Zumal wenn die Volksbühne zum selben Zeitpunkt noch eine Retrospektive von Meg Stuart zeigt und Xavier Le Roy wenige Tage zuvor sein Debüt beim Education-Projekt der Berliner Philharmoniker hat.
Verschiebung des Choreografiebegriffs
Angesichts dieses Überangebots erscheint es weitaus ergiebiger, sich mit der gebührenden Aufmerksamkeit einen kleinen Teil des zweiwöchigen Begleitprogramms anzusehen. Hier zeichnet sich nämlich eine Tendenz ab, die von der amerikanischen Tanzwissenschaftlerin Susan Foster kürzlich als Verschiebung des Choreografiebegriffs zum „collaborating” bezeichnet wurde: während es im modernen Tanz der 1930er Jahre vor allem darum ging, ein Zeugnis historischer Umbrüche abzulegen („testifying”), und im so genannten postmodernen Tanz der 1960er Jahre vor allem das choreografische Handwerk („making”) im Vordergrund stand, setzt sich der zeitgenössische Tanz insbesondere mit den Formen der Vergemeinschaftlichung im Theater auseinander.
Was Gemeinschaft im Tanz in Berlin bedeutet, wurde während eines von Jeroen Peeters und Myriam Van Imschoot kuratierten diskursiven Events zum Thema „Alien Resident” an der Volksbühne deutlich. Nur ein Bruchteil der Berliner Choreografen kommt ursprünglich aus Deutschland oder gar aus Berlin. Viele geben als Wohnort mehrere Städte in Europa an und produzieren ihre Stücke im Rahmen von temporären Residenzen, bei denen sie je nach Ort und Gastgeber aber eigentlich auch lieber abwesend wären. Zuhause ist dann entsprechend das Apartment oder Stadtviertel, in das man erschöpft von den vielen Produktionsaufenthalten und Gastspielreisen zurückkehrt. Dank digitaler Kommunikation über E-mails, Skype, Youtube und Flickr kann man es so mitunter sehr lange an verschiedenen Orten gleichzeitig aushalten, ohne sich dabei völlig entwurzelt zu fühlen.
Wie Erfahrungen gemacht werden
Eine Folge des flexibilisierten und globalisierten Tanzmarktes ist jedoch die verstärkte Thematisierung von Zusammenarbeit und Partizipation im Tanz. Dieses Verständnis von Gemeinschaft beschränkt sich nicht nur auf die der Tänzer und Choreografen untereinander. Durch die Hinwendung des Tanzes zur ästhetischen Erfahrung – das heißt, durch die Konzentration auf die Prozesse der Aneignung, Beurteilung, Verwendung und Veränderung von künstlerischen Gegenständen oder Ereignissen -, erstreckt sich das Zusammensein im Theater auch auf das Verhältnis von Bühne und Publikum. Im Mittelpunkt steht also kaum noch das Angebot beziehungsweise der Konsum eines choreografischen Produkts, sondern vielmehr die Frage, wie „uns” Produzenten und Rezipienten die Erfahrung von und durch Tanz gegeben ist.
Folglich kann eine Tanzproduktion auch nicht mehr unabhängig von ihrem produktions- und rezeptionsästhetischen Kontext betrachtet werden. Choreografen und Tänzer arbeiten also notwendiger Weise und ganz selbstverständlich innerhalb eines transnationalen Netzwerks aus Förderern, Veranstaltern, Kritikern und Künstlerkollegen. Diese kooperative Gemeinschaft ist längst nicht mehr ausschließlich als „parasitäres Außen” verschrien, das den Tanz durch rücksichtsloses Profitstreben auszubeuten versucht. Stattdessen muss das kulturelle Feld als Teil einer kollektiven Kreativität verstanden werden, welche den Choreografen auch als Prüfstein ihrer künstlerischen Konzepte dient. Die Produktion und Rezeption von Tanz spielt sich also eher im kommunikativen Dazwischen von Personen und Institutionen ab.
Horizontale Arbeitsstrukturen
Diese Entgrenzung des Tanzes als Lebens-, Kunst- und Arbeitsform wurde bei „Tanz made in Berlin” in zahlreichen Vorstellungen auf unterschiedliche Weise evident. Zunächst einmal fällt im Programmheft wiederholt der Begriff der „horizontalen Arbeitsstruktur“. Gemeint ist damit ein alternatives Modell zur herkömmlich organisierten Tanzkompanie, bei der die Tänzer dem Choreografen zuarbeiten, um unter dessen Namen ein marktgerechtes Produkt zu produzieren. In der Praxis bedeutet das soviel wie: Jeder arbeitet in unterschiedlichen Funktionen mit jedem. Bestes Beispiel ist das von Alice Chauchat initiierte Projekt practicable, an dem außer der mittlerweile in Berlin ansässigen Französin vier weitere Choreografen und Tänzer beteiligt sind. Gemeinsam geteilt wird von ihnen lediglich ein Training in Body-Mind-Centering sowie die dramaturgische Aufsicht über die Arbeit der anderen.
Vertreten war das Projekt mit einem zweiteiligen Abend im schmucken Ballhaus Naunynstrasse in Kreuzberg. Zunächst zeigte Alice Chauchat in „marvel” viel nackte Haut. Im Zentrum ihrer kleinen Bewegungsstudie über den weiblichen Torso als „Wunderding”, stand die entblößte weibliche Brust, womit zahlreiche Assoziationen aus der Malerei und Skulptur aufgerufen wurden. Nachdem Chauchat demonstriert hatte, was genau sie bewegen oder anspannen muss, um ihre perfekten Brüste in Bewegung zu versetzen, kam Frédéric Gies mit seinem „dance” an die Reihe. Angesichts seines bestechenden Tanzes über Technik, Stil und Komposition könnte man meinen, der unter Intellektualismusverdacht stehende „Konzepttanz” sei wieder beim Tanz angekommen. Da reflektiert doch tatsächlich einer im zotteligen Schlabberlook zu Madonna-Songs über den Tanz, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren! Klug und dennoch virtuos oder umgekehrt?
Zum Beispiel: Alice Chauchat und Isabelle Schad
Eines der Mitglieder von „praticable” ist Isabelle Schad, die unter dem Dach ihrer Good Work Productions sogar elf weitere Künstler versammelt, um sich mit der Präsentation, Repräsentation und Wahrnehmung des Körpers auf der Bühne sowie in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Hatte man Schads Duett „White Trash” mit Benoît Lachambre zuvor gesehen, fragte man sich nun in den ersten Sekunden von „Leistung”, ob ihr nichts besseres eingefallen sei, als dieselbe Musik für das Duett mit Martin Bélanger noch einmal zu verwenden. Im Laufe der Vorstellung in der Tanzfabrik wurde dann allerdings schnell klar, dass sich beide Stücke direkt aufeinander beziehen. „Leistung” ist sozusagen Good Works’ Meta-Stück, das diverse Referenzen und Zitate aller bisher unter dem Label entstandenen Projekte zusammengefasst. Jeder Verweis wurde von den beiden Performern per Knopfdruck mit einem rosafarbenen Lichtschein markiert.
Ein ähnliches Arbeits- und Aufführungspaar bildeten auch Stefan Pente und William Wheeler, die das Thema der sexuellen Identität miteinander teilen. In „you didn’t see me” konstatiert Stefan Pente mit Hilfe von Kleidungsstücken, Spiegelbildern und Textfragmenten, dass er für seine heterogene und transitorische Selbstdefinition keine angemessene Darstellungsform finden kann. Formal ausgereifter untersuchte William Wheeler in „Border Strip” als ‚green lady’ dann den Marktwert des Drags in TV-Gewinnshows, Computerspielen und im Striptease. Gezeigt wurden ihre Reflexionen über Gender und Queer Performance im kollektiv organisierten Veranstaltungsort Ausland, an dem sie gewissermaßen auch zu Hause sind. Diese Grenzgänge zählten mit Abstand zu den gewagtesten Stücken im Programm des Festivals, da der Tanz hier mit der sozialen Performativität weit über sich selbst hinausging.
Stefan Pente, William Wheeler, Eva Meyer-Keller und Litó Walkey
Ähnlich tanzfern, aber für die breite Menge zugänglich und ohne Zweifel jugendfrei war Eva Meyer-Kellers kesse Backperformance „Good Hands”. Auch in dem an eine TV-Kochshow erinnernden Aufführungsformat wird zusammen etwas gemacht. Alkoholbetriebene Raketen fliegen durch die Luft, Eier hüpfen von einem Glas ins andere, Wasser und Wein mischen sich, eine Flamme schafft ein Vakuum und saugt Wasser ins Glas. Während die vier Darsteller damit beschäftigt sind, in heimeliger Atmosphäre ein Lebkuchenhaus zu backen, dürfen die Zuschauer sogar selbst Hand anlegen und einige Gimmicks aus dem Buch Chemical Magic ausprobieren. Die ganze Zauberei läuft aber letztlich darauf hinaus, das hübsch dekorierte Häuschen wieder zunichte zu machen, was durchaus als kritischer Kommentar zur Verabsolutierung von Virtuosität eines produktiven Körpers gelesen werden kann.
Litó Walkeys „Missing Dance No.7″ griff das Thema der Partizipation auf ganz andere Weise wieder auf. Die Aufforderung zum Tanz wurde hier indirekt durch die ortspezifische Präsentation in Clärchens Ballhaus ausgesprochen. Wo sich unter der Woche alles um den Ballroom Dance für Jedermann dreht, führte Walkey mit ihren beiden Kollegen einen strukturell ausgefeilten square dance aus. In einem auf den Boden des alten Ballsaals geklebten Quadrat versuchten sich die drei im Swing der 1930er Jahre, wobei sie sich durch rhythmische Permutationen, Variationen und Wiederholungen bewegten. Insbesondere die Freude am Tanzen und ihr Grinsen bei kleinen Fehlern luden die Zuschauer dazu ein, selbst das Tanzbein zu schwingen.
Lawrence Malstaf: Choreografie ohne Tanz
Die reale Beteiligung des Publikums erforderte schließlich die autochoreografische Installation „nevel” des Belgischen Künstlers Lawrence Malstaf, den man vor allem durch seine Kooperation mit Meg Stuart in deren Reihe „Insert Skin” kennt. Seine Choreografie ohne Tanz wird durch die Bewegungen der Besucher beeinflusst. Beim Betreten des Kubus im Tesla findet man sich zunächst inmitten einer Landschaft aus neun hohen, semitransparenten Paravents wieder, die sich um ihre eigene Achse drehen. Je nach Stellung der beweglichen Elemente eröffnen oder schließen sich Räume. Einmal am anderen Ende des rotierenden Dickichts aus Licht und Schatten angekommen, steht man vor einem flachen Bassin, über dem zwei große Ventilatoren die Wasseroberfläche in Bewegung halten. Wagt man sich ein paar Schritte über das Wasser, kommt man in den Genuss, sich das Ganze trockenen Fußes von der anderen Seite her als Zuschauer betrachten.
Heike Albrecht und die Zukunft
So viel, so weit, so gut. Es ist unter anderem der Hartnäckigkeit Heike Albrechts zu verdanken, dass all diese Produktionen an den genannten Orten gezeigt werden konnten. Insofern bleibt zu hoffen, dass sie dem Berliner Tanz eine verlässliche Anlaufstelle bieten kann, wenn sie ab der Spielzeit 2007/2008 die künstlerische Leitung der Berliner Sophiensaele von Amelie Deuflhard übernimmt. Dann müssten sich die so genannten Berliner nicht mehr in einer einzigen, wenn auch langen Winternacht die Klinke in die Hand geben, während sie sonst in der Weltgeschichte herum sausen, um ihre künstlerische Arbeit zu machen. Vielleicht kamen deshalb auch nur 50 Personen für das Fotoshooting eines „dance community pictures” vor der Volksbühne?
(20.12.2006)
Eine eigene Realität schaffen
Die Choreografin Isabelle Schad und Good Work
von Franz Anton Cramer TdZ. November 2007
Schon lange hat sich namentlich in der Tanzkunst ein komplexes Geflecht aus Arbeitsstrukturen, Förderzusammenhängen, Rechercheprogrammen und Kollaborationen aller Art gebildet, ohne das heute kein Tänzer oder Choreograf künstlerisch überleben könnte. Zum Arbeitsauftrag freier Gruppen oder Einzelkünstler gehört es mittlerweile auch, sich in diesem Wirrwarr aus Fördermittelvergabeträgern, Produzenten- und Koproduzentennetzwerken, Festivalverteilern, Residenzprogrammen und Gastspielveranstaltern sowie Auslandskulturinstituten seinen eigenen Parcours auszugestalten. Lange war dieser Kampf ums materielle und strukturelle Überleben als lästiges Übel verachtet worden: ein Schicksal, mit dem außer Pina Bausch und William Forsythe fast alle geschlagen waren, ein Stolperstein auf dem Weg zu künstlerischem Durchbruch und kunstwirtschaftlichem Bilanzerfolg.
Doch hat sich diese Auffassung, wenngleich eher der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe, verändert. Heute wird der Umgang mit den Malessen des freien Choreografieschaffens selbst zum Gegenstand künstlerischer Praxis. Im Umgang mit den konkreten Bedingungen, welche Kunst von Nicht-Kunst trennen oder welche umgekehrt die Kunst verweltlichen und die Welt verkunsten, oder mit denen derartige Austauschprozesse zumindest behauptet werden, entstehen neue Produktionsformen und vor
allem auch neue Ästhetiken.
Eine Protagonistin dieser Umbruchsgeneration ist die gebürtige Stuttgarterin Isabelle Schad. Mit ihrem 2003 gegründeten Indie-label Good Work hat sie, noch ehe das zur hochschul politischen Mode wurde, einen transatlantischen und paneuropäischen Kreativitäts-Cluster geschaffen, der nicht nur ein gutes Dutzend Individuen aus allen möglichen Ländern und Sparten (Choreografie, Bildende Kunst, Architektur oder auch Produktionsmanagement)
vereint – neben Schad selbst etwa Bruno Pocheron, Ben Anderson, Martin Belanger, Nuno Bizarro, Benolt Lachambre, Frederic Gies, Manuel Pelmus oder Susanne Beyer -, sondern mit seinen flachen Hierarchien und den gemeinschaftlichen Arbeitsweisen auch das auktoriale Dröhnen der Kunstwelt abdämpft.
Als gelernte Balletttänzerin und während der 90er-Jahre umtriebiges Kompaniemitglied in mehreren angesagten Gruppen aus Belgien und Deutschland, darunter Ultima Vez um Wim Vandekeybus und die Compagnie Felix Ruckert, begann Schad 1999 zunächst, kleinformatige eigene Stücke und Projekte zu erarbeiten. Kollaboration und Subversion waren dabei von Anfang an Zauberwörter.
’So gestaltete sie 200I mit “SwitchPositionFreezeControl” eine Solostudie über das Bewegungskontinuum, das man so gern mit dem Tanz gleichsetzt. Doch statt energetischer Entäußerung verstümmelte Schad die Körperlichkeit durch ständige Rückspul- und Pauseneffekte. So wie das konsumierbare Tanzwerk auf Video aufhört, geschaut werden zu müssen, so baute Schad den Stachel der inwendigen Kritik ein.
Die Frage nach Authentizität, Urheberschaft und Körperlichkeit bleibt seither virulent. Ebenso der Umgang mit dem Fetisch Leib. Zumal im Tanz sind Schulung, Virtuosität, das Junge und Hübsche zentrale Kategorien.
In ihrem Projekt “White Trash” (2004), das sie mit dem esoterischen Performance-Star Benoit Lachambre aus Kanada für ein Performance-Festival im nordfranzösischen Valenciennes entwickelt hat, sieht man beide Darsteller wie in einer Art Trance langsam in einem mit Unmengen von
Haushaltspapier und ein paar Stühlen ausgestatteten, grauen Raum umhertappen und sukzessive ihre Gliedmaßen, später auch den eigenen Kopf mit Klopapier umwickeln; so wird aus dem Fetisch des Tanzes eine unförmige Skulptur, die trotz der cleanen Atmosphäre ganz andere Assoziationen provoziert: Gedankenmüll, Weichspülerei, Obsession und Anstaltswahn.
2005 zeigte Schad dann mit Martin Belanger ihre installative Performance “Leistung” – der Versuch, die Performance mit den Überlegungen gegeneinander zu schneiden, die zu ihr geführt haben. Im Raum schweben ein Discman, zwei Colaflaschen, eine Steckdose, ein Lichtschalter und eine Perücke an Nylonfäden.
Schad und Belanger kommen mit zusammenklappbaren Möbeln in den Saal, bauen zwei Stühle und einen Tisch auf, den sie dann unter die schwebenden Objekte schieben, so dass sie auf dem Tisch stehen. Beide erklären, welches Denk-Material sie verwenden. Eine rote Lampe wird gedrückt, wenn Ideen bekannt vorkommen oder in einer anderen Show schon einmal verwendet worden sind. Sie leuchtet oft. Mit einem rasenden Monolog des Dramaturgen Ben Anderson, etwas ungelenken und verhakelten Bewegungssequenzen und einem aufgezeichneten Gespräch zwischen Schad, Belanger und Anderson, bei dem die beiden Anwesenden teilweise mitsprechen, teilweise auch allein weiterreden und tatsächlich da wieder ankommen, wo die Tonspur ausgesetzt hatte, verwischen die Grenzen zwischen Performance, Konzeption und Wiederholbarkeit des Zeitlichen. Zuletzt entrollen Schad und Belanger eine Leinwand, auf die ihr eigenes Abbild aufgedruckt ist, und gehen dann ab.
Doch der Weg von Good Work führt inzwischen nach anderswo. Seit anderthalb Jahren verlässt das Kollektiv für sein Projekt “Still Lives” den professionellen Kunstbetrieb, in dem vor allem Profis für Profis arbeiten und ein initiiertes Publikum ihnen in mehr oder weniger konfektionierten Formaten zuschaut.
Schad, ihr Partner Bruno Pocheron, der rumänische Tänzerchoreograf
Manuel Pelmus sowie der in Frankreich und Berlin tätige Tänzer, Choreograf und Pädagoge Frederic Gies wenden sich stattdessen den so genannten Laien zu. In bis jetzt sechs Städten – Berlin, Halle (a. d. Saale), Bucharest, Lille, Essen, Hannover -laden sie Interessierte zu einem gut einstündigen Performanceprojekt ein.
“Still Lives” versteht sich “demokratisch”. Es gibt keine Auswahl bei den Teilnehmern: Wer sich anmeldet, macht mit. So setzen sich die Mitwirkenden von Stadt zu Stadt anders zusammen: Alte und Junge, Bürgerliche und Migranten, Arbeitslose, Beseelte und Gelangweilte. “Still Lives” bietet seine Struktur allen an, und alle Abende sind unterschiedlich. Sie sind ortsspezifisch in jeder Hinsicht. Sie folgen einer Arbeitsanleitung, um an unterschiedlichen Orten mit Laien ein Tanzstück zu erarbeiten. Aber daraus entsteht eben kein austauschbares Sozialmanöver, sondern ein stark reflektiertes künstlerisches Projekt, das sich in seinem Anspruch wohltuend abhebt von all den gut gemeinten therapeutischen Tanzprojekten, in denen selbst ernannte Ego-Experten gesellschaftliche Problemgruppen disziplinieren wollen.
Insofern – und auch wenn die Choreografin das gar nicht für
sich reklamiert – steht “Still Lives” in der hehren Traditionen der
Bewegungschöre und Laientanzgruppen der Weimarer Republik.
Zudem greift es den radikalen ästhetischen Impuls der I960er-
Jahre auf, als das Wort von der “fußgängerischen” Bewegung und
der “demokratischen Choreografie”.geprägt wurde: Tanz und Bühnenarbeit nicht als elitäre Veranstaltung für ausgebildete Spezialisten und domestizierte Luxuskörper, die für ein Publikum tanzen, das physisch wie persönlich in anderen Welten lebt; sondern eine ständige Verbindung halten zwischen dem Treiben auf der Bühne und der Lebenswelt der Betrachter. Die agierenden Körper, die Gruppenkonfigurationen und choreografischen Aufgaben, welche den Abend strukturieren: Es könnte jeder mitmachen, dem Grundsatz nach.
Die Formationen sind dementsprechend immer klar, wenn auch manchmal ein wenig pathetisch. Das Wechselspiel zwischen Raumfüllen (alle gehen umher und lassen “gleich viel Abstand zwischen sich”), Interaktion (beim Herumgehen hilft immer einer dem andern beim Hinsinken, ein anderer hilft beim Wiederaufstehen und sinkt dann selbst hin), Tableau (alle zusammen bilden große Schwärme), Auf-/Abtritte (in welchem Rhythmus die Akteure ganz zu Anfang hereinkommen, wenn sie einzeln abgehen, aber nach einer ganz bestimmten Kadenz, wenn sie die Bühnenmitte leer lassen und sich pathetisch am Rand platzieren etc.) ist übersichtlich, schlicht, dabei wirkungsvoll und von einem zeitgenössischen Duktus geprägt.
Ein Soundtrack der besonderen Art bildet den Hintergrund und eine zusätzliche Lokalmarkierung. In tagelangen Recherchearbeiten sammeln die Mitglieder des Kollektivs auf den Straßen der jeweiligen Stadt Interviews und Ansichten von Passanten ein.
Sie alle werden gebeten, ein Bild zu beschreiben, das ihnen gezeigt
wird: Jeff Walls “Stumbling Block”.
Jeff Wall ist bekannt für seine düsteren, hintergründig-raunenden Fotoarbeiten mit sorgfältig gestellten Tableaus, für die er gewaltige Sets baut, tagelang mit Schauspielern probt, raffinierte Beleuchtungseffekte ausklügelt, um dann Bildwerke zu produzieren, die zwischen Theater, Fotorealismus und Schnappschuss changieren.
Ein solches Bild sollen die Passanten beschreiben. Die Antworten, oft von verblüffender Komik, oft auch von schonungsloser Selbstoffenbarung, manchmal auch nur albern, werden über Raumlautsprecher zugespielt, später auch als Übertitel projiziert.
Das gesprochene Wort dominiert so immer mehr das szenische
Geschehen. Neben dem mundartlichen Lokalkolorit ersteht
durch die Insistenz der Ansichten und Auffassungen im Zuschauer ein eigenes Bild : Man meint irgendwann, das Werk selbst vor Augen zu haben, das von allen so unterschiedlich beschrieben und interpretiert wird. Dabei finden geradezu lyrische Schöpfungsmomente statt – in der Beschreibung wird das eigene Unverständnis verstanden.
Das Projekt war ursprünglich aus einem Ungenügen heraus entstanden. Zu sehr im Kunstbetrieb und den immergleichen Mechanismen der Antragstellung, Produktion und Gastspielreise verfangen, wollte das Team ein Format finden, welches künstlerische Arbeit und Realweltliches verbindet. Nicht im Sinne des Therapeutischen, versteht sich, sondern eben als Überschneidung von choreografischer Arbeit, Pädagogik und Wirklichkeitserfahrung.
Mit diesem Projekt arbeiten Good Work weiter. Jeweils einwöchige Recherchephasen und etwa drei Wochen Proben mit der Gruppe vor Ort sind notwendig, um das Bühnenmaterial vorzubereiten. Anfragen aus Belgien, Schottland und Österreich liegen bereits vor.
Workshopreisen und ausgedehnte Unterrichtstätigkeit in vielen europäischen Kontexten halten Schad von ihrer Homebase Berlin zunehmend fern. Dennoch gibt es Pläne, im eher glanzlosen Bezirk Wedding ein eigenes Produktions- und Probenhaus einzurichten. Die Raumsituation der Hauptstadt ist notorisch schlecht, und Unabhängigkeit von Vergabeprozeduren und Ver-
teilungskämpfen für viele Choreografiekünstler ein Wunschziel.
Es geht eben darum, sich eine eigene Wirklichkeit zu schaffen, aber mit den Mitteln der anderen. Auch das ist bekanntlich (eine) Kunst: das eigene Tun als Realitätsgenerator.