Sinnliches Spielmaterial
Im Auftrag des Theater o.N. hat Isabelle Schad ihr Stück “Harvest” für Kinder ab drei Jahren entwickelt. Hier erzählt sie vom Kreationsprozess – mit den Weidenzweigen aus dem Studiogarten.
Text: Isabelle Schad, Choreografin
Als die Einladung vom Theater o.N. kam, ein Stück für das ganz junge Publikum, für Kinder ab 3 Jahren zu machen, dachte ich zuerst daran, nach einem passenden Material zu suchen, mit welchem wir spielen, uns beschäftigen und bewegen können. Ziemlich schnell kam mir die Idee, die eigene Ernte aus dem Garten der Wiesenburg – wo wir unseren Arbeitsort, die Tanzhalle aufgebaut haben – zu untersuchen. Die erste Erprobung des ‘vorhandenen’ Materials fand dann schon weit im Vorfeld statt, im Juni letzten Jahres. Denn nur, wenn das Verhältnis zwischen Material und uns selbst, unseren Bewegungen und Sinnen spannend erscheint, denke ich, dass es sich lohnt, damit ein Stück, oder auch mehrere Stücke zu machen.
Präzision und starke Energie
Schon vom ersten Tag an war klar, dass die geernteten Weidenzweige und -gerten, die großen wie die kleinen oder mittleren, ein ganz wunderbares und überraschendes Eigenleben mit sich bringen.
Die großen Äste sind so lang, dass sie gerade eben der Breite nach in unsere Halle passen, wenn sie auf einer Hand balanciert werden und die Person den eigenen Schwerpunkt hinter die Hand bringt, sodass eine kreisförmige Bewegung entsteht. Man muss also extrem präzise sein, um nicht an den Wänden anzustoßen. Zugleich entsteht dadurch eine verblüffende, riesige ‚Maschine‘ im Raum und eine extrem starke Energie. Wie wenig es an Muskelkraft braucht, um die langen Stangen in Bewegung zu versetzen, und wie viel an Geschicklichkeit, Spürsinn und Verständnis für Gewichtsverlagerung, für innere und äußere Kräfte, um sie zum Schweben, zum Drehen, in Bewegung, in die Vertikale oder Horizontale zu bringen.
Hierfür hat das Training mit Stock und Schwert im Park, das ich seit dem zweiten Lockdown im Humboldthain initiiert habe, viel beigetragen. Die offenen Trainings sind übrigens ebenfalls in dem Spirit entstanden, mit dem umzugehen, was da ist – also auf eine Situation antworten zu müssen, in der Nähe und Training in geschlossenen Räumen unmöglich ist. Und zugleich haben wir im Training mit dem Stock auch viel Platz um jeden herum benötigt – da war der Park genau richtig. Selbst bei Wind und Wetter, auch im Schnee, haben wir uns getroffen. Ganz wichtig beim Aikido mit der Waffe ist, dass man nicht versucht, den Stock oder das Schwert zu bewegen, sondern dass man immer zuallererst sich selbst bewegt. Hier ist das Grundverständnis für den Umgang mit dem Material ungemein gewachsen – ohne gleich auf die ‚Kreation‘ hinarbeiten zu müssen.
Achtung der Natur gegenüber
Ich denke ja immer noch, dass das tägliche Training, das sich aus Elementen des Aikido und somatischen Praktiken nährt, eine wunderbare Grundlage für jegliches ‚Stück-Entwickeln‘ darstellt. Der Bezug von Selbst und Andere/Welt, sowie das Verständnis für Bewegung und Schwerkraft, für Fluss und Energie wird abseits vom choreografischen Schaffen geschult. Alles auf einmal erreichen zu wollen, geht oftmals schief oder wird ein ‘fake’. Worum geht es überhaupt? Immer wieder neue Stücke zu kreieren, das kann es sicher nicht sein, denke ich immer wieder, wenn sich – gerade in schwierigen Zeiten – die Sinnfragen in den Vordergrund drängeln.
Aber zurück zur Ernte. Mir hat die Idee gefallen, dass unsere Ernte recycelt, weiterverwendet und genutzt werden kann. Damit werden relevante Themen unserer Zeit ganz nebenbei und spielerisch ins Zentrum gerückt: Es geht um die Aufmerksamkeit, um Respekt und Achtung der Natur gegenüber, die wir erbringen müssen, um unser Ökosystem – und am Ende des Tages – unseren Planeten nicht zu zerstören.
Im Prozess ist es eben diese Aufmerksamkeit, gegenüber den Zweigen, Bündeln und feinen Ästchen, die eine wirkliche Relation entstehen läßt: Genau wie ich es früher als Kind bei der Ernte erfahren habe, wenn wir bei den Bauern, bei denen unsere Pferde standen, helfen durften.
Reisigbündel mit Eigenleben
Gemeinsam mit den Tänzer*innen haben wir daher viel Zeit damit verbracht, die Weidenernte nach Größen, Längen und Stärken der Äste zu sortieren, sie zu organisieren und sie schließlich in der Bewegung kennenzulernen. Wie biegsam sind sie und wie stark? Was können sie tragen? Wie verhalten sich die großen Zweige, wie die ganz dünnen und feinen? Wann wird das ganze so chaotisch im Raum, dass die Gerten besser zu Sträuchern gebündelt werden, um damit spielen zu können, und um dem Reisigbündel ein Eigenleben zu geben? Oder um es zu einem schamanischen Kostüm werden zu lassen, zu feuerähnlichen Gebilden, die sich von allein bewegen zu scheinen, die so knistern, als würden sie selbst gerade brennen?
In einem Moment habe ich gedacht: Die akustischen Geräusche der unterschiedlichen Zweige sind so präsent, so lebendig und spannend! Wenn man das ganze Stück nun ausschließlich nach musikalischen Aspekten, nach Rhythmen und Resonanzen formt, als würde man an einem Musikstück oder einem Musical für die Kleinsten arbeiten, dann wäre das bestimmt perfekt.
Am Ende ist es natürlich nie nur das eine oder das andere, sondern viele Schichten formen nach und nach ein komplexes Ganzes, das dann wiederum ständig in Bewegung, in Veränderung ist…
Spannend zu bemerken finde ich, dass ich diese Arbeit, die auch ein ganz junges Publikum erreichen soll, eigentlich wie immer angehe: Die Aspekte von energetisch-kraftvollen Bewegungen, die aus dem täglichen gemeinsamen Training heraus wachsen, die visuellen und auditiven Aspekte, das Verhältnis von Selbst/Welt – bleiben im Fokus. Und zugleich arbeite ich mit dem Bewusstsein, dass das Stück auch für die ganz Kleinen funktionieren soll. Also: Dass die gelenkte Aufmerksamkeit, dass Kommunikation, Dauer und Rhythmus einfach stimmig sein müssen. Denn es gibt kein kritischeres Publikum diesbezüglich als Kinder, gerade wenn sie noch ganz jung sind. Es ist ja eigentlich das schönste Geschenk, das man sich machen kann, wenn man nach den sinnlichen, haptischen Erfahrungen sucht, die abseits von Verstand und Konzept wahrgenommen werden und zugleich kleine Wunder im eigenen Erfahren auslösen können.
Dauer und Aufmerksamkeit werden für das junge Publikum anders beleuchtet. Aber im Grunde genommen ist ein Stück wirklich toll, wenn es für alle funktioniert, unabhängig vom Alter, Hintergrundwissen, von Erfahrung oder Herkunft. Das war eigentlich schon immer mein Anliegen: mit meiner Arbeit Grenzen jeglicher Art überwinden zu können. In unserer heutigen Zeit, in Zeiten der Pandemie, in denen die Grenzen immer enger werden, empfinde ich diesen Aspekt als relevanter denn je.
Offensive Tanz | Blog | Interview mit Isabelle Schad | von Christine Matschke | 14.9.2021
Christine Matschke für Offensive Tanz für junges Publikum
HARVEST
Interview mit Isabelle Schad 14.09.2021
offensive-tanz.de/
Isabelle, Du hast eine besondere Vorliebe für Materialien. Seit „Unturtled #1“ (2010) arbeitest Du mit weiten Kleidungsstücken und langen Stoffbahnen. Für „Der Bau – Gruppe“ (2014), von dem es mittlerweile auch zwei Kinderadaptionen gibt, hast Du Sitzsäcke benutzt. In „Harvest“, Deiner ersten Produktion für junges Publikum, tanzen die Performer*innen mit Weidenzweigen. Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe nach einem natürlichem Material gesucht, das man recyceln und mit dem man nachhaltig arbeiten kann. Also nach etwas, das in gewisser Weise lebendig bleibt. Als wir die große Weide im Garten der Wiesenburg heruntergeschnitten haben, war das faszinierend. Es entsteht von ganz allein eine schöne Proportionalität: wie viele lange große Äste es dann gibt und wie viele mittlerer Länge entstehen, die peitschenartiger und biegsamer sind, und wie viele kleine Zweige dann noch bleiben. Die Mengenverhältnisse waren von der Natur quasi “vorstrukturiert”. Wir haben dann alles nach Größen sortiert und gebündelt wie bei einer Ernte. Dieses ganze Handling des Materials, damit umzugehen, sich Zeit zu lassen, das war ein wichtiger Faktor für die Arbeit.
Welchen Einfluss hatte das Weidenmaterial dabei auf Eure Bewegungen bzw. welche Bewegungen habt Ihr gefunden, um mit diesem für Euch noch neuen Material tanzen zu können?
Vielfach ging es darum, wie man diese Bündel transportieren, wie man sie greifen kann. Welche Geräusche sie erzeugen und wie biegsam sie sind. Die Eigenschaften der Zweige verändern sich im Lauf der Zeit. Sie werden trockener und brüchiger oder auch wieder biegsamer, wenn man sie in den Regen stellt. Ich arbeite lange im Voraus mit Recherchen, ohne Druck, damit ich solche Prozesse verfolgen kann.
Die Weidenzweige sind zum Teil recht lang. Mit welchen Ausmaßen habt Ihr es da zu tun und wie bewältigt Ihr diese beim Tanzen?
Die längsten Weidenzweige passen gerade in die Breite der Tanzhalle Wiesenburg, sind also sechs Meter lang. In der gemeinsamen Bewegung mit den Zweigen geht es viel um Gewichtsverlagerung und darum, zu spüren, wo der eigene Schwerpunkt im Körper ist, um dann beim Greifen den Schwerpunkt unter oder hinter die Hand zu bringen. Wenn man sie sich gut platziert, stimmt die Balance. Wir haben in der Zeit regelmäßig Aikido-Stocktraining gemacht. Und das hat viel zum Verständnis im Umgang mit den Weiden beigetragen.
In einem kürzlich von Dir verfassten Essay erwähnst Du, dass Du beim Arbeiten nichts von ständigem Produzieren und Neukreieren hältst. Dafür spricht auch, dass Du in Deinen Stücken gerne Bewegungssequenzen wiederholst wie etwa in „Turning Solo“ und „Double Porträt“ (2017). Hast Du im Laufe der Jahre für Dich so eine Art Arbeitsphilosophie gefunden und wie würdest Du diese beschreiben?
Ich habe auf jeden Fall etwas, das methodisch angelegt ist und sich durch die Jahre durchzieht. Dazu gehört die Kontinuität im Trainingsansatz und in der Bewegungslehre, die bei mir durch somatische Praxen beeinflusst ist und durch mein tägliches Aikido-Training. Die andere Achse ist die Frage danach, wie etwas sichtbar gemacht wird: wie verliert es sich nicht einfach im Raum oder in tänzerischen Abläufen, sondern wie wird etwas ganz präzise im Raum skulptural – auf eine natürliche Art und Weise, durch Beobachtung von Bewegungsprozessen. Dabei geht es weniger um ein konkretes, willentliches Schauen als um ein ganzheitliches und intuitives, das man in ein eigenes Erkennen einordnen kann und das einem ermöglicht, immer wieder auch Neues zu entdecken.
Auf typische direkte Interaktion zwischen Performer*innen und Zuschauenden wie man es aus dem Kindertheater kennt, verzichtest Du in Deiner Arbeit für junges Publikum. Was beschäftigt Dich, wenn Du für Kinder choreografierst?
Wir sprechen die Kinder nicht direkt an, das ist richtig. Andererseits war es schon Thema für uns, mit Blicken zu arbeiten und zu schauen, wie es ist, sich über die Kinder zu spiegeln. Wahrscheinlich geht es bei einem kindlichen Publikum darum, nicht selektiv auf es zuzugehen, sondern bei sich zu bleiben und den Raum und die Kinder als Ganzes wahrzunehmen.
Es ist ganz viel Arbeit an der eigenen Erwartungshaltung. Für kleine Kinder ist alles gleich wichtig. Wenn sie während der Vorstellung abhauen und spielen und dann zurückkehren, heißt das nicht, dass das was auf der Bühne geschieht, langweilig ist. Damit muss man erst einmal umgehen. Denn von erwachsenen Zuschauer*innen sind wir das nicht gewohnt.
Gehst Du anders an ein Stück heran, wenn Du für Kinder choreografierst?
Ganz wichtig war mir, nicht explizit etwas für Kinder zu machen. Was nicht ganz einfach ist, denn es ist ja eine Auftragsarbeit für Kinder ab drei Jahren. Es war also eine permanente Auseinandersetzung. Ich habe immer wieder beobachtet, wo ich mich zu sehr auf die Kinder ausrichte. Man macht dann gerne etwas Didaktisches oder geht zu verkopft an das Ganze heran, eben zu gewollt. Ich versuche, die Kinder auf dem Schirm zu haben, aber mich da nicht zu sehr einzuengen.
In Deinen Gruppenstücken bleiben alle Tänzer*innen Individuen. Auch wenn sie dieselben Bewegungen vollführen, schimmert immer etwas persönliches hindurch – ohne dass ihre Gesichter besonders präsent wären oder dass Du hier Charaktere hervorkehren würdest. Man erlebt sie in ihrer Gesamtheit, als ganze Körper und aus einer gewissen natürlichen Zurückhaltung heraus.
Das ist genau der Punkt. Ich möchte, dass jeder über die Arbeit an der Bewegung so weit wie möglich, er bzw. sie selbst sein, und auch bei sich sein kann. Ich reagiere relativ allergisch darauf, Dinge zu bespielen oder etwas “draufzusetzen”. Wenn sich jemand freut, kommt ein Lächeln oder Lachen zum Vorschein, aus einer inneren Regung oder einer lustigen Situation heraus. Authentizität als etwas, das in der Bewegung verankert ist, spielt für mich eine wichtige Rolle. Mir ist es wichtig, nichts für das Außen zu machen und für die Form. Deswegen versuche ich die Abläufe auch immer recht schnell am Anfang im Prozess zu finden, um damit lange genug und vielschichtig arbeiten zu können. Denn je mehr diese aus dem Kopf sind, weil sie oftmals durchlaufen und automatisiert wurden, desto mehr hat jeder Einzelne die Möglichkeit, im Tun und im Sein zu sein und die Form zu verlassen.
Berliner Morgenpost | Berlin Bühnen | Interview mit I. Schad | September 2021
Hanna Falkenstein im Interview mit Isabelle Schad
Frau Schad, Sie haben bereits „Der Bau“ für junge Menschen inszeniert. Wie unterscheidet sich die Arbeit für ein erwachsenes Publikum und Zuschauende ab drei Jahren?
Ich finde es rückblickend spannend zu bemerken, wie ich diese Arbeit, die auch ein ganz junges Publikum erreichen soll eigentlich wie immer angegangen bin:
Dauer und Aufmerksamkeit werden für das junge Publikum nochmals anders und neu beleuchtet. Aber im Grunde genommen, ist ein Stück wirklich toll, wenn es für alle funktioniert, unabhängig vom Alter, Hintergrundswissen, von Erfahrung oder Herkunft. Das war eigentlich schon immer mein Anliegen: mit meiner Arbeit Grenzen jeglicher Art überwinden zu können. In unserer heutigen Zeit, in Zeiten der Pandemie, wo die Grenzen immer enger werden, empfinde ich diesen Aspekt als relevanter denn je…
Was möchte „Harvest“ vermitteln?
Es geht um Aufmerksamkeit der Natur gegenüber: genau wie ich es früher als Kind erfahren habe, wenn wir bei den Bauern, bei denen unsere Pferde standen, bei der Ernte helfen durften. Der Reisig, den wir hier verwerden, kommt aus dem eigenen Garten der Tanzhalle Wiesenburg, von unserer Weide dort. Mir hat die Idee gefallen, daß unsere Ernte recycelt, weiterverwendet und genutzt werden kann.
Gemeinsam mit den Tänzer*innen haben wir daher viel Zeit damit verbracht, die Äste nach Größen, Längen und Stärken zu sortieren, sie in der Bewegung kennenzulernen. Wie biegsam sind sie und wie stark? Wie verhalten sich die großen Zweige, wie die ganz dünnen und feinen? Wie können wir damit spielen, sie z.B. zu einem schamanischen Kostüm werden lassen, zu feuerähnlichen Gebilden, die so knistern, als würden sie brennen?
Gibt es etwas, das die Zuschauenden – an Erfahrung, Haltung oder Erwartungen – mitbringen müssen?
Mir ist es immer am liebsten, wenn es keinerlei Erwartungshaltung gibt. Man geht ins Theater, um gespannt zu sein, was passiert: im Augenblick. Was Performance, Tanz und Theater schaffen kann, ist den Menschen komplett ins Jetzt zu holen. Im Idealfall sind alle Sorgen, Ängste und ‚was muß ich noch tun?‘ komplett weg und man taucht in die Magie der Bühne und der wunderbaren Darsteller*innen mit ein. ‚Vergiß alles‘, könnte die schönste Einladung sein, um dem Geschehen zu folgen. Deswegen ist es auch super spannend für das ganze junge Publikum zu arbeiten, denn da kommt niemand auf die Idee, vorher ein Programmheft zu lesen, sie sind einfach da ! Und ganz da zu sein, ist natürlich ein tolles Gefühl.