„Das Volk ist nicht tümlich.“ Bertolt Brecht
Mein Verhältnis zur Volkskunst, zum Volkstanz, zur Volksmusik ist nicht existent. Natürlich, das Formierte, das Kommerzialisierte an der Volkskunst finde ich widerwärtig, diesen Versuch, ein Niveau soweit runterzukochen, bis es das Hirn anfrisst, „volkstümlich“. Aber es gibt da ja auch noch Anderes, jenseits der Verwertbarkeit. Neue Volksmusik etwa, von Attwenger bis zum Einsatz arabischer Samples im HipHop von M.I.A., wobei die Diskussion, ob es sich hier tatsächlich um eine Anreicherung handelt, oder aber um kulturellen Kolonialismus, durchaus geführt werden sollte. Kritisches Volkstheater (mit dem ich wenig anfangen kann, das auch). Traditionellen Folk als Ausdruck der Unterprivilegierten, den gibt es, Woody Guthrie anyone?
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Das ist das eine. Das andere ist die doch immer wieder durchscheinende Bejahung autoritärer Verhältnisse in der Volkskunst, das traditionelle Geschlechterbild, die Feier der kleinen, engen Welt. In den Jugoslawienkriegen wurde zu sentimentalem „Turbofolk“ gefoltert, wobei Turbolfolk weniger Volkskunst ist als das, was hierzulande als „Volkstümliche Musik“ gilt. Es ist kompliziert.
Jedenfalls habe ich kein Verhältnis zu dem, was da im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel passiert: ein Abend namens „HEUTE: volkstanzen“, vier zeitgenössische Choreographinnen, die ihre Beziehung zum Volkstanz klären wollen, drei Stunden lang Sprötzer Achterrüm, Hamburger Rückschritt, Fürizwänger, ich habe doch keine Ahnung. Der Theaterraum ist leer, einzig an der Decke ist so etwas wie ein Festzelt angedeutet, es gibt eine Bar, einzelne Sitzgelegenheiten stehen rum. Außerdem ein DJ-Pult, Sebastian Reier aka DJ Booty Carrell legt auf: eine Art globalisierte Pop-Folklore. Reier fängt an in Irland, zieht dann über Oberbayern und den Balkan, er endet kurz hinter der Türkei, was recht gut klingt, mal ein wenig mehr haarsträubend schnelles Gefiedel, mal ein wenig mehr durchgedrehte Bläsersätze, doch, das passt.
Die Berliner Choreografin Isabelle Schad lässt ihre Tänzerinnen zunächst Posen aus Volkstänzen dekonstruieren, während die Musik leise schabt. Keine Folklore, eher ein Nachdenken über Folklore. Bis, nahezu unbemerkt, ein Akkordeon zu spielen beginnt, dann eine Flöte, und aus den Posen wird ein leichter Tanz, die Tänzerinnen blicken auffordernd ins Publikum, ein Kreis wird gebildet, ein Zuschauerpaar reiht sich ein, noch eines, und plötzlich wird getanzt, zu einer aufs Nötigste reduzierten Melodie („Fizheuer Zieheuer“ von Ricardo Villalobos ist im Grunde ebenfalls Volksmusik, Balkanfolk von einem Chilenen, der in Berlin lebt und House macht, soviel zur kleinen, engen Welt!). Das ist schon mal ein kleines Wunder von „HEUTE: volkstanzen“: Wie organisch sich der Übergang von der akademischen Choreographie zum kollektiven Tanz vollzieht, mit welchem Charme und welcher Freundlichkeit hier eine Choreographie geöffnet wird.
Ein zweites Wunder: Wie konzentriert das Ganze auch wieder geschlossen wird. Als nämlich Heike Hennings (Leipzig) Choreografie folgt, verschwindet die Masse mit einem Schlag wieder von der Bühne, mit einem Schlag wird wieder vor Publikum performt. Vier Paare tanzen: Fenster, Busserl, Einstiegerl. Heteroperformance, allerdings mit einem Dreh ins Liebenswerte, Spielerische, auch in die Ironie, und ich will sogar glauben, dass das nicht nur hier, im ironiegestählten Kampnagel-Umfeld, sondern auch im prototypischen Festzelt so abläuft. Trotzdem, dieses Gegenüberstellen Mann-Frau hat viel von dem, was mir an der Volkskunst missfällt. Und dann wird wieder getanzt, schön.
Schön, aber auch ein wenig gleichförmig, zumal ich nicht mittanze. Ein Stück weit hat das was vom Clubbesuch, und, ja, der DJ legt auch Sachen auf, die problemlos im Club laufen könnten, zumal, wenn man sich überlegt, dass Folk und Folkelemente andernorts eine weitaus größere Nähe zum Pop haben als hier. Plötzlich fühle ich mich wie derjenige, der an der Tanzfläche abseits steht, schaut und nicht mittut, die Luft ist nicht gut, es ist auch echt warm, und was ich zuvor noch als angenehme Öffnung empfunden habe, wirkt plötzlich wie ein Ausschlussmechanismus: Wie soll ich hier mitmachen, ich kann das nicht, ich will das auch nicht, und als ich zum Tanzen aufgefordert werde, lehne ich ab.
Mein Kopf dröhnt, tatsächlich scheine ich die Choreografie von Jenny Beier (Hamburg) verpasst zu haben, oder ich fand das, was da auf der Tanzfläche passierte, einfach zu uninteressant, um mich zu konzentrieren, womöglich war ich auch kurz draußen. Jedenfalls bin ich erst wieder da, als Doris Uhlichs Wiener Gruppe startet: minimalistisch, ein Tanz in einzelnen Gesten, zu „Wir tanzen im 4-Eck“ von Stereo Total, was zwar ganz sicher keine Volksmusik ist, hier aber passt wie Topf auf Deckel: „Wir tanzen im 4-Eck/Wir tanzen konzentriert/Ich tanz mit dir/Du tanzt mit mir.“
Was Uhlich hier macht, ist weitaus eindeutiger Theater als die bisherigen Choreografien, auch der Übergang in die Volkstanzrunde erweist sich im Vergleich als komplizierter, am Ende ist der aber auch kein Problem. Und dann ist es plötzlich still, der Tanzkreis steht im Raum, es gibt Applaus, zögernd erst, wem applaudiert man hier eigentlich? Den Tänzern? Den Choreografinnen? Dem Künstlerischen Gesamtleiter Matthias Quabbe? Oder dem Tanz als solchem? Man applaudiert. Und auch wenn der Abend in der Mitte ein wenig durchhing, applaudiert man zu Recht.
„HEUTE: volkstanzen“ läuft noch am 18. und am 19. 10. jeweils um 19.30 auf Kampnagel in Hamburg sowie am 25. und 26. 10. an der Schaubühne Lindenfels in Leipzig.
Jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn öffnet eine Ausstellung mit Plakaten zu Volkstanz in der DDR.