Choreografin Isabelle Schad erarbeitet eine Performance zwischen stillgelegten Bahngleisen.
Anna Halprin war 90 Jahre alt, als sie in New York wieder mal einen Workshop gab. Irgendwann sagte da die unverändert wendige Pionierin des postmodernen Tanzes: “Ich nutze Bewegungen als einen Weg, um in uns zu verankern, wer wir sind. Tanz kann durch den Körper den Geist formen.” Die Berliner Choreografin Isabelle Schad nennt Isadora Duncan und Anna Halprin, wenn sie zu umreißen versucht, was für eine Art Bewegungs-Theater sie macht und wer sie inspiriert. Derzeit probt sie mit 30 Männern und Frauen, Laien und Profi-Tänzern, auf einer Brache im Hamburger Oberhafen.
Read more
Nein, Tanztheater sei das nicht, was sie mache. Eher Performance. Auch der Titel ihrer Arbeit legt keine klare Fährte: “Hinter den Gärten” heißt sie, Premiere ist am 22. Mai um 20 Uhr, und den genauen Ort muss man erst mal ein bisschen suchen. Die Stockmeyerstraße hinter den Deichtorhallen entlang, an der schiefen Oberhafen-Kantine vorbei und dann links: Hinter dem letzten alten Lagerschuppen kann man zwischen stillgelegten Bahngleisen auf einer mit Kräutern, Moos und kleinen Bäumen bewachsenen Fläche Isabelle Schads “Choreografie als urbane Landart” erleben, die die Tanzinitiative Hamburg mit dieser neuesten Produktion ankündigt.
Der Ort ist präzise gewählt. “Er hat es in sich”, sagen die Initiatorinnen Barbara Schmidt-Rohr und Irmela Kästner. “Wir haben ihn nach dem Thema ausgesucht, und dieses Areal hier ist derzeit ein zwischen Kunst und Kreativwirtschaft heiß umkämpftes Gebiet.” Wie immer, wenn die Tanzinitiative ein Projekt ausheckt, findet eine künstlerische Intervention an einem Ort statt, an dem sonst kein Theater gespielt wird. “Hinter den Gärten” setzt sich mit dem Verschwinden von Freiflächen in der Hansestadt auseinander, in der zurzeit bauliche Verdichtung und kommerzielle Nutzung von Leerraum konkrete politische Ziele sind. “Uns geht es auch um soziale Teilhabe, wir suchen deshalb eine andere Art von Öffentlichkeit”, sagt Schmidt-Rohr.
Der Landschaftsarchitekt Ando Thomas Yoo hat das schmale Areal mit ausgeschnittenem Rollrasen belegt und rund um einen Baum einen kleinen Grashügel gebaut. Isabelle Schad und er wollten eine Umgebung schaffen, die sich zwischen angepflanztem Garten und vorgefundener Brache bewegt: Was ist künstlich, was natürlich? Wann stellt sich zwischen den Körpern Harmonie ein, woraus entsteht Widerstand? Um solche Fragen kreist die Arbeit von Isabelle Schad. Der Belgier Gael Cleinow hat aus den vielfältigen Geräuschen vor Ort eine komplexe Soundcollage gebastelt, “um Bewusstsein zu wecken”.
Von innen nach außen entwickelt sie die Form der Bewegungen, aus drei Körpern baut Schad einen einzigen: “Ich studiere die Faltungsgesetze bis hin zur Entwicklung eines Embryos. Es geht darum, die Zellen zu spüren und in Dialog mit dem molekularen Aufbau des Körpers zu treten. Daraus kann für die Zuschauer eine sinnliche Wahrnehmungsreise wachsen.”
In der Gruppe, die aus Laien und Profis besteht, sieht die Bewegungs-Forscherin “ein sehr sensibles Miteinander. Über die Arbeit wächst so eine Gruppe schnell zusammen. Ich glaube, es gibt ein Bedürfnis, zurückzukehren zu archaischen Denkweisen.”
Letzten Endes aber wird der Besucher wohl den Gedanken nach Hause tragen, ob die harmonische Gemeinschaft, in der dennoch Individualität möglich ist, nicht doch die beste aller Lebensformen ist. Die Tanzinitiative hat schon einmal mit Isabelle Schad zusammengearbeitet – in dem erfolgreichen Community-Tanzprojekt “Tüddeldüddel Lüd” 2009 auf Kampnagel. Das Stück wurde daraufhin zum Tanzkongress Deutschland eingeladen.
Hamburger Abendblatt 22.05.2013“Hinter den Gärten”: von der Weisheit der Körper von Katja Engler
Zwischen stillgelegten Gleisen am Oberhafen feiert Isabelle Schads Tanzperformance “Hinter den Gärten” Premiere. Zuschauer können sich frei auf dem Gelände bewegen und in bestimmten Grenzen “mitgehen”.
Hamburg. Alles ist mit allem verbunden, jede Bewegung wirkt sich auf das Ganze aus: Gleich einzelnen Teilchen wabernden Plasmas bewegen sich die Männer und Frauen miteinander wie in einem großen Strom. Dann wieder halten sie jeder den Fuß eines anderen fest: Die Gemeinschaft, die die Choreografin Isabelle Schad hier auf einer Brache zwischen stillgelegten Bahngleisen im Oberhafen herstellt, hat sich zusammengefunden, um eine poetische urbane Intervention mit Leben zu füllen: “Hinter den Gärten” heißt die Bewegungsperformance, die an diesem Mittwoch, 22. Mai, hier Premiere hat. Die Zuschauer können sich frei auf dem Gelände bewegen und in bestimmten Grenzen “mitgehen”. Bei Regen wird eine Überdachung errichtet.
Wie immer, wenn die Tanzinitiative Hamburg Projekte ersinnt, hat man es nicht mit einer üblichen Theateraufführung zu tun, sondern mit der Idee von Tanz als sozialer Teilhabe. “Hinter den Gärten” befasst sich mit dem Verschwinden unverplanter, undefinierter Räume in der Stadt durch Verdichtung und kommerzielle Nutzung. Der öffentliche Ort, hier am Ende einer Reihe von Lagerschuppen hinter der Oberhafen-Kantine, sei genau der richtige, sagen Barbara Schmidt-Rohr und Irmela Kästner von der Tanzinitiative. “Wir haben ihn nach dem Thema ausgesucht, und dieses Areal hier ist derzeit ein zwischen Kunst und Kreativwirtschaft heiß umkämpftes Gebiet.”
Der Landschaftsarchitekt Ando Thomas Yoo hat die alten, moosbewachsenen Betonplatten mit ausgeschnittenen Rollrasenstreifen belegt und rund um einen Baum einen kleinen Grashügel gebaut. Zwischen den Ritzen des aufgesprungenen Betons drängen sich Johanniskraut und Schafgarbe. Isabelle Schad und er wollten eine hybride Umgebung schaffen, eine künstliche Gartenlandschaft mit mobilen Blumentöpfen. Was ist künstlich, was natürlich? Was stört die Harmonie der Körper, was nicht? Und woraus entsteht Widerstand? Um solche Fragen kreist die Arbeit von Isabelle Schad, die sich der Philosophie des Body-Mind-Centerings verbunden fühlt, das die Weisheit und Intelligenz des Körpers in Bewegung aufspürt und der natürlichen Wechselwirkung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Die Gruppe besteht aus 30 Männern und Frauen, Laien sowie Profi-Tänzern zwischen 20 und 70 Jahren.
Dazu hat der Belgier Gael Cleinow aus den vielfältigen Geräuschen vor Ort eine komplexe Soundcollage gebastelt, “um Bewusstsein zu wecken”: Aufbrausende Böen, Vogelgezwitscher, quietschende Zugfahrten über die Gleise, Schritte, Klopfen. Von innen nach außen entwickelt Isabelle Schad die Form der Bewegungen, aus drei Körpern baut sie einen einzigen: “Ich studiere die Faltungsgesetze bis hin zur Entwicklung eines Embryos. Es geht darum, die Zellen zu spüren und in Dialog mit dem molekularen Aufbau des Körpers zu treten. Daraus kann für die Zuschauer eine sinnliche Wahrnehmungsreise wachsen.” Die Besucher würden vielleicht “von innen mehr spüren”, wenn sie offen seien, denn ihre Arbeit habe “eine Intensität, die man sonst nicht erlebt. Die Körper lassen ihre Verpackung fallen, ihren Repräsentationshabitus, sodass etwas Pures in Erscheinung tritt”.
Eine Utopie will Isabelle Schad hier formulieren, denn “wir sind ja normalerweise in der hierarchischen kapitalistischen Gesellschaft unterwegs.” Jeder, der sich öffne, könne so etwas wie ein fernes Erinnern erleben, sagt die Bewegungsforscherin. Dann “stellt sich etwas Zeitauflösendes her”. Ihre Arbeit beschreibt Schad als “das Gegenteil von Provozieren. Es geht um ein existenzielles Verstehen. Um das Verhältnis des Natürlichen zum Kulturellen, und diese Dinge liegen viel näher beisammen, als man glaubt.”
Hamburgtheater / online
26.5. 2013
Atmende Grashügel
von Birgit Schmalmack
Hinter den Lagerhallen am Oberhafen tut sich Wundersames. Da wächst englischer Rasen, da stehen Chrysanthemen ordentlich aufgereiht in kleinen Töpfen, da hängen sich die Menschen in die Bäume. Trotz widrigster Wetterumstände wälzen sie sich auf dem Boden, schmiegen sich an die Grashügel, schaukeln in den Zweigen und werden zu sich bewegenden Menschenhügeln. Sie werden zum einem Teil der Natur. Dabei verändern sie sich kontinuierlich. Sie bilden wortlose Arbeitsgruppen, dirigieren den anderen an der Kleidung um die eigene Achse und kuscheln sich aneinander. Sie werden zu Raupen und zu arbeitenden Organismen, bis sie sich zum Schluss auf ihre eigenen zwei Beine stellen und über die Gleise einzeln ihrer Wege gehen. Die Sounddesigner, die an dem Projekt „Hinter den Gärten“ der Tanzinitiative Hamburg mitgearbeitet haben, haben die Geräusche der Umgebung geschickt einbezogen in ihr Sound-Konzept. Sie verstärken und mischen die ständig vorhanden Klänge der Umgebung zu neuen Kulissen zusammen, so das auch hier Kunst, Natur und Technik ineinander fließen und eine neue Einheit bilden können, die nicht mehr zu trennen ist. Die Choreographin Isabelle Schad hat ein wunderbar sinnliches und einfaches Kunstwerk mitten in einer Industriebrache entstehen lassen. Direkt neben der schnieken, blitzeblanken Hafencity liegt hier ein fast ungenutztes Kleinod, das sich für solche Aneignungen anbietet, so lange es noch existiert. Toll das es jemand dafür entdeckt hat zu zeigen, was eine Community aus Künstlern und Laien hier gemeinsam erschaffen kann.