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Pieces and Elements

In Pieces and Elements a group of performers negotiates the collective body in motion that can only function as a whole. This body with its different parts and multiple connections serves as a possible reflection of nature where each element is in relation to all the others in order for the whole to exist.

Pieces and Elements deals with the fluid borderlines between a scientific, biological, cellular approach to the body and the one seeing the human body in relation to the cycle of nature and the five elements: water, wood, fire, earth and metal. It places itself between a western and an eastern point of view, between visual arts and the performing arts, between installation and choreographic miniatures.
After Collective Jumps, the first part of the trilogy on collective bodies, which investigates the body as a site for forming community, Pieces and Elements considers the phases of change and nature as possible energetic means for becoming one: as body, as self or as a group.

In her recently premiered work Solo for Lea, Schad deals with a single figure as a portrait. Pieces and Elements draws on that experience, and focuses on the collective body as cubistic landscape, which can be considered at once as a space of transformation and as the event itself. We are approaching an oscillation between organism, apparatus and hybrid matter, between experience and sensuality, between utopia and reality.

Concept & Choreography: Isabelle Schad
Co-Choreographie & Performance: Jozefien Beckers, Barbara Berti, Frederike Doffin, Naïma Ferré, Josephine Findeisen, Przemyslaw Kaminski, Mathis Kleinschnittger, Manuel Lindner, Adi Shildan, Claudia Tomasi, Nir Vidan, Natalia Wilk
Theoretical advice: Susanne Foellmer
Dramaturgical advice: Sasa Bozic
Artistic assistance: Claudia Tomasi
Light: Mehdi Toutain-Lopez
Sound: Damir Simunovic
Costumes: Charlotte Pistorius
Production management: Heiko Schramm
Costume Assistance: Maja Svartåker
Assistance: Angela Millano

Made possible by a years-long collaboration with Laurent Goldring.

Premiere 25 November 2016
Production: Isabelle Schad. Coproduction: HAU Hebbel am Ufer. Funded by Hauptstadtkulturfonds and Regierender Bürgermeister Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten. In Cooperation with Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin (HZT). Supported by Wiesen55e.V.
Thanx to Lea Moro, Frances d’Ath, Bruno Pocheron, Volker Hüdepohl; to everyone who participated in the Open Practice Sessions, as well as to my teachers Jochen Knau, Heiko Schwarzburger, Gerhard Walter.

Images: Isabelle Schad. all rights reserved









 All pics by Gerhard F. Walter, all rights reserved








Camera & editing: Nadja Krüger, all rights reserved

2022 Uferstudios and Hebbel am Ufer

Collective Jumps + Pieces & Elements + Reflection

We are thrilled that the 3 works will be presented to Berlin audiences for the first time as the trilogy GROUP WORKS in a continuous period of time at the Uferstudios and Hebbel am Ufer.

Collective Jumps (2014, in collaboration with Laurent Goldring) + Pieces & Elements (2016)
31.03.–03.04.22 | Uferstudios
uferstudios.com

Reflection (2019)
09.–12.04.22 | HAU1 Hebbel am Ufer
hebbel-am-ufer.de


Pieces and Elements, pic. by Laurent Goldring, all rights reserved

2021 Double Bill evening with Pieces and Elements and FUR @ Globe Theater, Berlin

Nach dem erfolgreichen Gastspiel mit Turning Solo im September 2020 kehrt Isabelle Schad jetzt mit ihrer wegweisenden Gruppen-Choreografie Pieces and Elements und mit dem choreografischen Portrait FUR auf die Open Air Bühne des Globe Theaters zurück. In Pieces and Elements verhandelt eine Gruppe von Performer*innen ihren kollektiven Körper in Bewegung, der nur als gesamter funktionieren kann, analog zu zyklischen Vorgängen in der Natur. Die Neuinterpretation wird eigens für das Globe Theater adaptiert und in dieser Version zum ersten Mal gezeigt werden.

FUR ist eine Begegnung mit der japanischen Tänzerin Aya Toraiwa, befasst sich mit ihren spezifischen Körpermerkmalen, ihren Rhythmen, Konturen, Farben, Energien und insbesondere mit ihrem knielangen Haar. Ihr Haar bedeckt und bekleidet, wird zum Schutzraum und zur Prothese: eine fellähnliche äußere Schicht und Verlängerung des Körpers, der Energien, des Selbst.

Eine Produktion von Isabelle Schad, Unterstützt durch DIEHL+RITTER/TANZPAKT RECONNECT, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen der Initiative NEUSTART KULTUR. Hilfsprogramm Tanz“ Dank an: Wiesen55 e.V.
Pic: D.Hartwig. all rights reserved

Read review in Springback Magazine here.

2018 @ Berlinische Galerie / ASSEMBLE

ASSEMBLE is proud to present the second performance in the series: Isabelle Schad’s “Pieces and Elements”, presented within Out Now! Art in Public Space – One Day Festival by the Berlinische Galerie.

Isabelle Schad has formulated a distinct imagery and vocabulary in her choreographies, which works through the processes of having, becoming, and living in a body. Schad’s work “Pieces and Elements” considers modes of being together in the sense of a collective, moving entity. This body, with its different parts and multiple connections, serves as an analogy for the natural world, in which each organism interrelates with all others in order for the whole to exist. In “Pieces and Elements”, the alternating interactions between single limbs, body parts and movement across bodies display ever-changing relationships between the self and the group.
For ASSEMBLE, a single module from “Pieces and Elements” is selected and restaged for the outdoor plaza of the Berlinische Galerie, on the verge between the museum and the street. It takes place within a day-long festival on art in public space, among other talks and artist interventions. In this context, the group of dancers may be perceived as a public sculpture, whose energies enter into dialogue with its urban surroundings and with the other public artworks in its vicinity.
Pic: Dajana Lothert, all rights reserved.

2016 Premiere and Performances @ HAU2

We have the pleasure to present our new group piece at the beautiful HAU2 in Berlin !!!

2016 Residency in Fabrik Potsdam

Next week we are in residency at Fabrik Potsdam with our new group work Pieces and Elements.


Pic: Isabelle Schad, all rights reserved

See online: fabrik Potsdam

Gemeinsam handeln im Singulären.
Isabelle Schad im Interview mit Susanne Foellmer

Isabelle, Du hast Deinem Stück den Titel “Pieces und Elements” gegeben. Was bedeuten diese Begriffe für Dich?

Obwohl ich mit „Elements“ zunächst die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall meine sowie die komplexen Zusammenhänge zwischen Naturkräften, Körper(materialitäten) und Geist, möchte ich mit dem Titel Pieces und Elements gleichzeitig auf eine Öffnung der Seh- beziehungsweise Sichtweisen hinwirken. Die verschiedenen Teile oder Teilchen, die benötigt werden, um ein Ganzes zu erzeugen. Der Begriff der Elemente ist nicht auf Naturgesetze beschränkt, sondern bezeichnet vielmehr allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten oder Prinzipien.

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Und inwiefern würdest Du dann „pieces“ und „elements“ in ein Verhältnis zueinander setzen? Siehst Du hier Unterschiede?

„Pieces“ kann ja mehrdeutig verstanden werden, womit ich durchaus auch die Einzelteile, aus denen das gesamte Stück gebaut ist, ansprechen wollte. Zunächst habe ich ‘Figur auf Figur’ folgend gearbeitet, ohne mich um Übergänge oder dramaturgische Abfolgerhythmen kümmern zu müssen, und dabei sogar klare Trennungen wie Black-outs zwischen den einzelnen Figuren überlegt. Mit dem Begriff „pieces“’ dachte ich daher auch an choreografische Miniaturen oder Kurzstücke. Im Probenprozess hat sich dann schnell herausgestellt, dass wir mittels Passagen dann doch Verknüpfungen bauen mussten, von einer Figur beziehungsweise Landschaft zur nächsten. Da es sich bei den Elementen ja auch um Wandlungsphasen vielfältigster Erscheinungen handelt, machte ein allmählicher Übergang vom einen zum anderen Element schließlich choreografisch mehr Sinn. Qualitativ ist damit jedoch eine andere Struktur entstanden, denn es ist ein Unterschied, ob man von Beginn an in Übergängen denkt oder die einzelnen Bewegungssequenzen zunächst getrennt lässt.
Die „Elemente“ wiederum beschreiben immer wiederkehrende energetische Zustände, die den Erkenntnissen der modernen Physik, insbesondere der Quantenmechanik, in erstaunlicher Weise entsprechen. Elemente sind aber auch Kräfte, die das Gleichgewicht halten: Sie erzeugen sich gegenseitig, wandeln sich ineinander um oder widerstehen einander, je nachdem, in welchem Verhältnis sie sich zueinander befinden, auch im HInblick auf die Bewegungen der einzelnen Performer/innen in der Gruppe. Diese werden über Impulse und Intensitäten vermittelt, übertragen oder aufgehoben, oftmals wie in Kettenreaktionen. Insofern verhält sich auch jedes Körperglied eines Körpers und zwischen den verschiedenen Körpern in Abhängigkeit zum anderen. Die Hierarchien zwischen den Körperteilen und untereinander sind (wie schon bei meiner vorherigen Produktion Collective Jumps) komplett aufgehoben.

In Deiner Arbeit der letzten Jahre spielt das Verknüpfen und Verbinden verschiedenster Verfahren der Bewegungsgenerierung eine große Rolle: In der Relation von bildender Kunst und Tanz, aber auch in der Integration von Praktiken wie Body Mind Centering oder Aikido in die choreografische Arbeit. In welchem Kontext stehen hierzu die „Elemente“?

Hier galt es, die Mehrdeutigkeit des Begriffs gerade auch im Verhältnis zur Choreografie herauszuarbeiten. Die Elemente könnten verschiedene Teile innerhalb einer skulpturalen Landschaft sein. Inspiriert vom Kubismus und von der Arbeitsweise mit Laurent Goldring finde ich es besonders spannend, wenn sich der menschliche Körper auch innerhalb der Gruppe auflöst, und man vielmehr mit plastischen Einzelteilen beschäftigt ist, die man sieht…, wahrnimmt…, wieder verliert…, weil man plötzlich vielleicht an etwas ganz anderes denkt oder etwas anderes sieht. Zum Beispiel wenn der Raum zweidimensional erscheint oder sich Flächen bilden und er im nächsten Moment wieder ganz tief und plastisch wird –, ganz ähnlich dem Betrachten von Abläufen, wenn man lange Zeit in der Natur ist und beobachtet: Nach und nach tun sich immer neue Bilder, Assoziationen oder Erinnerungen auf, so wie bei der Beobachtung von Wolkengebilden oder einem wogenden Blumenmeer.
Soweit zur Verschränkung der Genres. Andererseits stimmt es, dass ich den Schwerpunkt in meiner choreografischen Arbeit auf das Verwenden bestimmter Körperpraktiken lege. Derzeit trainiere ich täglich Aikido in einem Dojo und praktiziere Shiatsu, eine Körperarbeit, die sehr energetisch, ganzheitlich und konkret ist, und sich unter anderem mit den zwölf Meridianen (Energieleitbahnen) des Körpers beschäftigt. Im Kreationsprozess mit der Gruppe trainieren wir zunächst täglich zwei Stunden basierend auf den Ki-Konzepten des Aikido oder Shiatsu beziehungsweise deren Bewegungsprinzipien, wobei Basisbegriffe wie Schwerpunktverlagerung und Balance sowie eine tägliche wiederholte Formfindung (mit zunehmender Freiheit und Perspektivwechseln) zentral sind. Der Fokus wird geschärft, der Bezug zum Selbst und von dort zum Gesamten. So wie ein Handwerker sich ein Leben lang mit seiner Kunst beschäftigt, so ist unser Training eine tägliche Präzisionsarbeit und erzeugt eine gewisse Lust an (einer) Disziplin. Im Prinzip handelt es sich um einen fortlaufenden Weg innerhalb der Proben und meiner Arbeit als solcher, der sich immer im Moment befindet. Sobald etwas ’mechanisch’ wiederholt wird, geht die eigentliche Essenz eines Bewegungsprinzips oder einer bestimmten Figur verloren.

Angeregt durch die bildende Kunst, die ja auch durch Deine langjährige Zusammenarbeit mit Laurent Goldring wesentlich ist, hast Du nun verstärkt auf den Körper als skulpturales Element geblickt. Inwiefern kommen hierbei Bewegung und Bildlichkeit zusammen? Und weshalb sprichst Du von Skulpturen?

Es ist verblüffend, dass, je mehr ich von Aikido, Shiatsu und den genannten Praktiken lerne und verstehe, die Körpermaterialitäten beziehungsweise Skulpturen sich immer stärker dem Blick von Laurent Goldring annähern, mit dem ich ja seit nunmehr acht Jahren zusammenarbeite.
Etwa in der Art zu greifen und die Hände zu nutzen habe ich viel mit und durch Laurent gelernt. In der Zusammenarbeit mit ihm war es immer sein Blick durch die Kamera in den Proben, mit einer ganz eigenen Vision von ’Bild’, in dem sich eindeutige Zuschreibungen mehr und mehr auflösen. Wenn ich nun im Training beispielsweise präziser werde mit dem Verständnis des Greifens und der Relevanz der Hände, die energetisch direkt mit dem Körperzentrum verbunden sind, dann stellt sich ebenfalls eine Materialität in der Körperarbeit her, die jene benannten skulpturalen Aspekte hervorhebt und unterstreicht.
Einer meiner Aikidolehrer sagte neulich: Man fängt immer mit dem Detail an. Zum Beispiel mit einem bestimmten Griff oder dem korrekten Abstand zwischen der Hand und dem Standbein, oder etwa wie sich das Gewicht über die zentrale Mittelachse von einem Punkt zum nächsten verlagert. Wenn ich nun mit Laurent zusammen arbeite beginnen wir ebenfalls immer mit dem Detail. Das Detail wird zur eigentlichen Arbeit, also zur Substanz. Das kann zum Beispiel ein physisches Bewegungsdetail sein oder von einer skulpturaleren Vorstellung vom Körper ausgehen, der sich, so Laurent, immer schon als ein bildlicher gibt – und sich allerdings in den Jahren unserer Zusammenarbeit mit meinen Vorstellungen und Verfahren, die sich aus somatischen Praktiken speisen, verknüpft hat. Die Schnittmengen zwischen choreografischer Bildlichkeit und Körperarbeit sind ziemlich direkt. Dabei es geht auch darum, das Gestern zu vergessen, um immer wieder neu zu beginnen: Nicht von vorne, weil man ja schon vieles weiß, aber dennoch im Versuch des Vergessens schon bekannter Bilder und (Bewegungs-)Muster. Das ist besonders im Bezug auf die Bildlichkeit im Grunde fast ein Paradox, aber dann wiederum auch nicht, denn es geht eben um das ’Sein im Jetzt’ und damit auch um das immer wieder neu Betrachten: Die Dinge erscheinen so, wie sie jetzt sind.

Zur Frage des Körperlichen hier noch einmal: Du hast bereits zuvor immer wieder mit verschiedenen Stofflichkeit gearbeitet: Dem nackten Körper und, ganz buchstäblich, mit Stoffen oder übergroßen Kleidungsstücken, die zum ‘Bewegungsmaterial‘ wurden. Wie siehst Du das Verhältnis dieser Gewebe als ‘Arbeitsmaterialien‘?

Mit Laurent Goldring haben wir bei dem Stück Unturtled (2009, fortlaufend) begonnen, ein übergroßes Kostüm als eine zusätzliche Schicht des Körpers zu betrachten, als zusätzliche Haut oder anderes Körpersystem (zum Beispiel Nervensystem oder Brustkorb, etc). Dieses Verhältnis, das den Innenraum mit einem ’Übergangsobjekt’, also dem Gewebe, mit dem Außenraum in Verbindung bringt, ist für mich bei dem Aspekt der Kleidung zentral geblieben.
Es ist schon sehr komplex, in der Körperarbeit immer wieder zu schauen, wie sich der Innenraum im Außenraum ausdrücken kann – nach der Sicht des Aikido zum Beispiel wie sich das Hara (der Organraum) im Außenraum ausdrückt. Mit Laurent hatten wir folglich begonnen, Kleidung oder Stoffe als eine Art Verstärker zu nutzen, der hilft, die inneren Prozesse nach außen hin sichtbar zu machen.
In Pieces and Elements spielen wir mit den unterschiedlichen Körperteilen: Solchen, die Haut zeigen, also hell reflektieren, und denen, die schwarz auf schwarz (vor schwarzem Hintergrund) erscheinen und eher abtauchen. Schwarz auf schwarz hat natürlich viele Referenzen wiederum in der bildenden Kunst, wie zum Beispiel bei Aleksandr Rodchenko, Kazimir Malevich oder Robert Rauschenberg. Davon bin ich aber nicht ausgegangen, vielmehr finde ich es spannend zu beobachten, wer sich wann und warum mit welchen Thematiken im Bereich der abstrakten Kunst beschäftigt hat, zum Beispiel im Hinblick auf das Verwerfen von (bildlicher) Repräsentation. Abstraktion hat ja immer auch damit zu tun, sich beständig wiederholender Repräsentationen zu entledigen.

Im aktuellen Stück sprichst Du wiederum nicht direkt vom Abstrakten, jedoch von Landschaften. Was verstehst Du unter diesem Begriff?

Es geht um Körperlandschaften, die in ihrem energetischen Potential und ihren Einzelelementen betrachtet werden. Um die Vielfältigkeit visueller Rhythmen und den damit einhergehenden Assoziationen. Wie bereits erwähnt, ist es mir wichtig, mich nicht in eindeutigen Bildern oder Botschaften festzulegen, sondern ich möchte für jede/n Zuschauer/in die ihm/ihr eigenen Räume öffnen. Wenn sich beim Betrachten von Zuständen, Bildern, Materialitäten die Dinge so darstellen, wie sie sind, ohne daß sie direkt etwas repräsentieren sollen, dann tun sich oft sehr persönliche Freiräume und Emotionen auf. ’Sculpting time’, ist ein Begriff, der im Prozess immer wieder auftaucht.

Und inwiefern würdest Du nun die Aspekte Landschaft und Raum/Architektur, die ja im aktuellen Stück eine wichtige Rolle spielen, in ein choreografisches Verhältnis setzen? Denn schließlich sind auch „Dinge, so wie sie sind” immer schon von gewissen (Vor-)Erfahrungen geprägt.

Was wir kreativ (er)schaffen ist immer schon im Zusammenhang mit der Natur zu verstehen, so meine Meinung. Die Begriffspaare ’natürlich – künstlich’, ’lebendig – nicht lebendig’ wurden lange als Gegensätze verstanden, die aber nicht immer so binär betrachtet werden müssen, sondern auch im Übergang verstanden werden könnten, in einer Komplexität, in der das eine das andere spiegelt oder einschließt. So zum Beispiel Architektur, die ja teils Strukturen aus der Natur übernimmt, verarbeitet, Innen- mit Außenräumen verschränkt oder mit Spiegelungen so umgeht, dass Landschaftsbilder auf Außenflächen treffen, etc. Vor Kurzem habe ich ein Interview von Tadeusz Kantor angehört, in dem er erläutert, wie er das Lebendige über die Abwesenheit des Lebendigen darzustellen versucht. Ich finde das sehr spannend. Scheinbar gegensätzliche Begriffe ergänzen sich, wie beim Yin und Yang: Das eine Prinzip schließt das andere mit ein.
Aber zurück zur Frage der Repräsentation: In der Natur ist ein Blatt ein Blatt, ein Fels ein Fels. Er repräsentiert nichts weiter, er ist nur. Ein japanische Sprichwort, das ich vor kurzem gelesen habe, hat mich diesbezüglich emotional sehr berührt: „Ein fallendes Blatt nimmt es dem Wind nicht übel.“

Themenwechsel: „Pieces und Elements“ ist der zweite Teil einer Trilogie zu Kollektivkörpern, die mit Collective Jumps ihren Anfang nahm. Was bedeutet in diesem Fall das Kollektiv für Dich?

Der Kollektivkörper in Collective Jumps tritt fast immer gemeinsam auf, als ’Block’, der sich verändert und auch das Subjektive fördert, sich jedoch fast nie in Einzelteile auflöst. In Pieces und Elements besteht der Kollektivkörper wiederum gerade aus den Einzelelementen oder -teilchen. Wir arbeiten meist in Untergruppen, oftmals polyphon oder kanonisch in der Zeitlichkeit. Da in der Natur die Dinge auch nie zeitgleich stattfinden (z.B. wann die Blätter eines Baumes sich verfärben oder fallen), ist auch hier das Zusammen-Sein nicht über eine Gleichzeitigkeit, sondern über die energetischen Prinzipen der Figuren gestaltet. Die Idee des Zusammen-Seins ist auch dann präsent, wenn die Form des Unisonos aufgehoben, aufgebrochen wird. Es müssen mehr Entscheidungen getroffen werden und nicht jeder durchläuft jede Figur. Die rhythmischen Figuren, die parallel oder kanonisch zueinander gesetzt sind, ergänzen sich, um ein Ganzes zu bilden.
Die Arbeit des Einzelnen am Detail ist ebenfalls noch wichtiger geworden, wir haben vielfach in kleinsten Gruppen (einzeln, zu zweit oder zu dritt) in einer Art Coaching-Verhältnis gearbeitet. Ich hatte außerdem schon viele Erfahrungen in der Bewegungsrecherche und den Figuren durch die Arbeit mit Lea Moro gemacht, deren Solo quasi das Porträt zur ’Landschaft’ darstellt. Dabei ist interessant, dass die Gruppe umso mehr gestärkt wird, je mehr jede/r einzelne die Präzision der eigenen Detailarbeit in den Vordergrund rückt. Dadurch entsteht eine ganz flache Hierarchie innerhalb der Gruppe, indem jede/r bei sich selbst anfängt und nicht im Verbund: Man übt sich selbst, bevor man mit einem/r Partner/in trainiert.
Das hat mit Prinzipien des Zen zu tun. Wenn man zuerst bei sich selbst anfängt, still zu sein, zu üben, wach zu sein, und das wiederum jede/r aus der Gruppe tut, dann ist der Schritt vom ’bei sich sein’ und ’sich spüren’ zum Erfahren des Gesamten, des Gesamtorganismus wesentlich einfacher, als würde man von Beginn an versuchen, einen Kollektivkörper zu erfassen. Somit ist auch nie der/die andere ’schuld’, wenn etwas nicht funktioniert. Das hat viel mit Akzeptanz zu tun und mit einer absichtslosen Herangehensweise. Meiner Erfahrung nach ist das eine der schwierigsten Aufgaben, gerade im Theater das Willentliche, die Intentionen zu unterlaufen. Man könnte also statt von Kollektivkörpern auch von einem Geflecht oder einem Netzwerk sprechen.

Und wenn es um das Kollektive im Theater geht, verbindest Du damit auch einen choreografisch-visuellen Eindruck, das heißt, eine Weise, wie sich Körper auf der Bühne geben und zeigen – und umfasst dies für Dich wiederum bestimmte Arbeitsprozesse? Auch solche politischer Natur?

In jedem Fall beides. Der Arbeitsprozess verbindet die Menschen über die Körperpraxis und den spezifischen Fokus, den jeder Einzelne einbringt, und dadurch entstehen die besten Möglichkeiten eines Zusammen-Seins, meine ich. Also nicht im absichtsvollen ’Gemeinschaftsbilden’, sondern eher über ein allmähliches Zusammenwachsen des Kollektivs über die gemeinsame Sprache der Körperpraxis. Sicherlich bleibe ich da meinen politischen Utopien des Zusammen-Seins verplichtet, auch im mikrokopolitischen Sinn. Neulich habe ich an einem Aikido-Lehrgang mit einem sehr bekannten Meister teilgenommen und da wurde nur anfangs im Nebensatz erwähnt, wie wichtig es in Zeiten des Rechtspopulismus ist, zusammen zu üben, zu trainieren. Und dann ging die Praxis auch schon gleich los. Es gab keine langen Debatten oder Erklärungen, das hatte sich erübrigt. Meine eigene Aufmerksamkeit fiel dann wieder darauf, wie wichtig es ist, sich mit ganz konkreten Dingen beziehungsweise Praktiken zu beschäftigen, die einander verbinden. Ganz ohne Gruppenzwang oder Machtstruktur: Es geht um eine gemeinsame Sache, um das gemeinsame Üben, das Erfahren von Energie, Austausch, Leidenschaft und Kontemplation. Eine fragile Arbeit in Zeiten der Gewalt und politischen Hilflosigkeit.
Im Theater wiederum wird das ’Politische’ als Thema vermehrt in den Mittelpunkt gerückt: Für mich ist es das Tun, das gemeinsame Handeln, das eine Arbeit politisch macht – ohne dass ich damit abgehoben klingen möchte. Es ist vielmehr die ganz praktische Angelegenheit des Politischen im (künstlerischen) Alltag.

MAKING THE DISAPPEARING VISIBLE
Elisabetta Consonni

The people are disappearing into a landscape. Yet they remain visible and present as agents who create this landscape. That’s the first thing I thought looking at the creation of Pieces and Elements.

Pierre Zaoui, in La discrétion: Ou l’art de disparaître, talks about disappearing as a micropolitical act, a political practice concerning a more social texture of relations between people rather than complex structures of government. A condition made of small gestures, minimal postures and humble glances, aiming to hide nothing until you have nothing left to show, till you make your presence imperceptible.

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The discrétion or Art of Disappearing has nothing to do with a negation of self. On the contrary, it is a welcoming of becoming, an opening to a whole which is human, animal, vegetal and inorganic. It is an experience within other beings and things, deposing any kind of hanger for self-identity, to open oneself up to the endless possibilities of an anonymous life. It is the skill of being present without self-imposition, of giving without showing off, of perceiving without control.

I saw discrétion in the work of Isabelle Schad and the performers. I saw people as bodies diving into a whole through a communication of embodied listening between each other, thus supporting a collective moving image.

The disappearing is inside the motion, accepting the dynamic of the collective flow becoming dynamic of the single body moving, in a negotiation between external and inner forces, between active and passive. Each movement and repetition is “not volunteering, hopefully” (Isabelle Schad), as the movement’s motor comes simultaneously from the within and from the collective.

This disappearing is also of the performers inside their own bodies and movement, abandoning self-identity, and becoming mass without a human aspect. Skin becomes costume, hands disappear as hands, a position slightly moving becomes a mass. In particular, hands appear as operational tools, grabbing matter through a touch that owes much to the work on aikido and shiatsu.

There is no constriction in this movement; there’s an efficiency of stamina, and the moving shape is given by the breath, single and collective.

Matericity [sic!] is the word that came to my mind. The concept of ‘materic’ [sic!] appears in art during the 1950s when the matter constituting the art work assumed expressive power by itself, being just matter. Matericity gives the idea of the materic aspect of the composition which has something to do with the cellular movement and for sure something to do with organic processes.

During one rehearsal, the light came through the window, projecting on the floor the shadow of a group of leaves from the tree outside. The movement of that image on the floor had a symmetry with the collective action of the performers. It was a landscape, “irregular but regular” (Isabelle Schad), in constant motion, detailed within. The collective motion, of the leaves and of the performers, was a polyphony, made powerful by the work of finding sharpness within the landscape, by the transmission of little movement details, and thereby grabbing and holding the viewer’s eye.

I like to think about Pieces and Elements as a political piece, or better micropolitical. That’s because of the discrétion of performers diving into an organic whole, being matter which is simple and powerful as “silent beauty” (Pierre Zaoui). And again because this constant work on acceptance of your own and of the collective motion is a strong ethical act.

References:
Zaoui, Pierre: La discrétion: Ou l’art de disparaître. Paris: Editions Autrement, 2013.

Temporale Zoomeffekte
Zu Erfahrungen zeitlicher Verstrickung in Pieces and Elements
Maria Katharina Schmidt

Womöglich setzte Gotthold Ephraim Lessing in seiner 1766 erschienenen Besprechung der antiken Laocoon-Gruppe den wohl einflussreichsten Akzent eines bis in die Gegenwart andauernden Dilemmas in der Kunsttheorie: Lessing hielt darin einzig die bildende Kunst für fähig, sich im Raum zu entfalten und damit den sogenannten fruchtbaren Augenblick zu materialisieren.

Demgegenüber seien die Zeitkünste, wie etwa Musik, Literatur oder auch der Tanz, auf die Darstellung von Handlungen zurückgeworfen. Sie erzählen in der Zeit und mit der Zeit. Das Dilemma dieser kategorialen Trennung besteht unter anderem darin, dass die bildende Kunst als Raumkunst sich ihre Denkmäler zu setzen vermag, der szenische Rest schweigt hingegen mit dem Fall des Vorhangs, dem Zuklappen des Buches oder dem Ende des Films. Die Avantgarden des 20. und 21. Jahrhunderts wiederum erschütterten und erschüttern beständig tradierte Demarkationslinien zwischen Kunst und Alltag, Bühne und Publikum, Öffentlichkeit und Privatheit, Virtuosität, Schönheit, Sensation oder den Genre- und Gattungsgrenzen der Künste. So bleibt auch jene manifeste Trennung zwischen Raum- und Zeitkünsten nicht unberührt: etwa wenn die Performancekunst versucht Skulptur zu sein, wie beispielsweise in Robert Kinmonts 8 Natural Handstands (1969) oder skulpturale Installationen wie Laura Hunts The Exhale #3 (2014), bestehend aus drei Eisblöcken, die zusehends an der Galeriewand entlang dahin schmelzen. Jenseits fruchtbarer Augenblicke vergehen diese Arbeiten sehenden Auges und schaffen Erfahrungen der Veränderung.

Längst hinterfragt auch die akademische Diskussion die diskursive Verankerung von darstellender Kunst als per se flüchtige, indem etwa ex negativo der ephemere Charakter von Ausstellungen in den Fokus rückt, daneben die Bilderfahrung als eine sich in der Zeit entfaltende diskutiert wird oder, zurück zu den darstellenden Künsten, jene von ihrer Dauer her perspektiviert werden, etwa in Form diversester Wiederbegegnungen von der Re-Konstruktion über das Zitat bis zu stilbildenden choreografischen Wanderungen sowie Formaten der Dokumentation. Daneben steht zusehends und ganz grundsätzlich das Verständnis von Zeit im Singular auf dem Spiel – programmatisch für die Gegenwart der Postmoderne. Hinterfragt wird die Zeit einerseits in ihrer philosophiegeschichtlichen Tradition als metaphysische Entität und andererseits als chronometrisch messbare Einheit, habbar gemacht mittels physikalischer Gesetze. Die Vorstellung von der einen Zeit zugunsten zeitlicher Vielfalt zu verabschieden, entwirft wiederum ein Verständnis von Zeit, das jene über die wahrnehmende Erfahrung begründet. Damit entstehen entgegen dem Modell einer unabhängig von Wahrnehmung linear verlaufenden Zeitgröße divers gelagerte temporale Erfahrungen. Zeit, oder besser: zeitliche Vielfalt kann in dem Sinne als ein Phänomen der Wahrnehmung verstanden werden, einzig zugänglich über den eigenen Körper. Wie ist eine solche Vorstellung jedoch angesichts der darstellenden Kunst und insbesondere des Tanzes zu verstehen? Welche Formen kann Zeit jenseits ihrer linear voranschreitenden Verflüchtigung außerdem noch annehmen und wie würden sich verschiedenste zeitliche Formationen im Tanz erfahren lassen beziehungsweise grundlegend erst einmal konstituieren?

Zeit im Plural erfahrbar gemacht – nicht mehr und nicht weniger entsteht während Pieces and Elements, dem zweiten Gruppenstück der Trilogie zum Kollektivkörper von Isabelle Schad. Zwölf Performer/innen stehen darin aufrecht und lose gruppiert mit dem Gesicht zur Bühnenrückwand im Raum. Das Schwarz der Umgebung schluckt ihre schwarz gekleideten Körper. Die zurückgezogenen Ärmel des Kostüms legen den Blick frei auf die über den Kopf gestreckten Arme. Die Hände umfassen den jeweils anderen Arm am Handgelenk, den Ellenbogen oder den Schultergelenken. Ihre Oberkörper pulsieren von den Schulterblättern an, schließlich auch die Rippenbögen bis in die Arme und ins letzte Fingerglied. Der eigene zuschauende Blick changiert beständig zwischen der Individualität des einzelnen Körpers mitsamt seiner je eigenen Bewegungsqualitäten und der unter der stetig pulsierenden Bewegungswiederholung zusehends Gestalt annehmenden, raumgreifenden Figur: Eine fließende Landschaft von Körperbildwerdungen entsteht, ein imaginärer Raum, der unscharf bleibt, da flirrend am Bühnenhorizont in konstanter Veränderung. Zusehends selektieren sich die Arme vom Rest der Körper. Die Hinterköpfe schweben frei im Schwarz des Raums. Die Kleidung erscheint losgelöst von den Körpern, scheint diese von Zeit zu Zeit gar zu bewegen. Momente gefüllt mit Gliedmaßenketten und losen Köpfen, die den einzelnen Körper in seiner vertrauten Gesamtheit zersetzen und zugleich andere Körpergestalten in Form raumgreifender Gliedmaßenlandschaften konfigurieren. Schwarmdynamiken wechselnder Intensitäten durchziehen den Raum, oder besser: lassen diesen erst entstehen. Unter sukzessiven Bewegungsverlagerungen bahnt sich eine neue Landschaft an: Körperreihungen von kreisförmig schwingenden Armpaaren durchwandern die Performer/innen und lassen kaleidoskopartige Muster entstehen. Einzelne Körper schließen sich darin zu einem bewegten Ornament zusammen, das in einer kaum merklich verschiebenden Bewegungswiederholung sogartige temporale Zoomeffekte entstehen lässt. Erfahrungen einer zeitlichen Sogwirkung formieren sich hier über die werdenden Körperlandschaften, vorstellbar als eine in Bewegung begriffene Zeittiefe.

Ein solcher zeitlicher Zoomeffekt wird in jenen Momenten besonders evident, in denen Pieces and Elements einen klaren Schnitt in die Bewegungslandschaften setzt, etwa wenn die Performer/innen heraustreten aus der Schwarmdynamik und am Bühnenrand die Hosenbeine ihres Kostüms hochkrempeln oder ihre Socken ausziehen. In der Erfahrung jener dramaturgisch klar gesetzten Schnitte und dem abermaligen Betreten der Bühnenszene – im Entstehenlassen neuer Figurationen wie den zeitraumdehnenden Körperzusammenschlüssen zu Quattro-Wesen oder Torsomenschen, die ein Feld von isolierten Hautkugeln markieren, wird deutlich, dass über die Bewegungsdynamiken der sich temporär formierenden Körperlandschaft Erfahrungen von sich ausbreitenden und in sich wieder kollabierenden unterschiedlichen Räumen und Zeiten entstehen. Denn die Figurationen in Pieces and Elements benötigen Zeit, um zu werden. Sie entfalten sich damit in der Zeit, etablieren einen temporären (Erfahrungs-)Raum und formen zugleich diverseste Zeiterfahrungen, etwa als raumgreifende zeitdehnende Bewegungslandschaft oder als punktuelle Torsomenschen, die zuckende Zeitfragmente über die Wahrnehmung entwerfen.
Pieces and Elements schafft derart in seinem dramaturgischen Aufbau des deutlichen Ein- und Austretens aus den unterschiedlichen Körperbildwerdungen und über seine bezeichnende Bewegungs- und Körperästhetik einen Rhythmus von Eigenzeiten. Eigenzeiten, die die spezifische Aufführungssituation von Pieces and Elements erst entstehen lassen – indem sich über die Erfahrung von Verflüchtigung die Wahrnehmung eines Zeitzooms schichtet, der die Uhr aus dem Takt geraten lässt. Jenseits fruchtbarer Augenblicke, jedoch darin nicht weniger die Imagination fordernd, ist der Tanz hier fähig nicht nur in der Zeit und mit der Zeit zu gestalten, vielmehr gestaltet er Zeiten und darin Räume, materialisiert in Körpern, erfahrbar in der vielfältigen Wahrnehmung der Zuschauenden und Tanzenden. Derartige temporale Verstrickungen sind mit Worten kaum zu beschreiben und noch weniger mit physikalischen Gesetzen zu begreifen: Sie entstehen einzig im widerfahrenden Sehen.

Referenzen:
Grant, Stuart et al. (Hg.): Performance and Temporalisation. Time Happens. Basingstoke/UK: Palgrave Macmillan, 2015.
Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766). In: Barner, Wilfried (Hg.), Laokoon: Briefe, antiquarischen Inhalts. Frankfurt/Main: Dt. Klassiker Verlag, 2007.

Zergliederte Bilder, gedehnter Raum
Susanne Foellmer

Zartbleiche, entbeinte Gewebe, kopflose Torsi, hingegossen aufgebahrt oder zusammengezogen an einer Wand kauernd, wuchernd hingeknäuelte wulstige Innereien neben blass durchscheinenden Füßen – so zeigen sich die wächsernen Skulpturen der belgischen Künstlerin Berline de Bruyckere, deren Arbeiten bisweilen im Zusammengang mit Isabelle Schads Stücken assoziiert werden, im Übergang von (menschlichen) Körpern und anderen Materialien. Bewegung, die im Fluss geronnen scheint und jene Form angenommen hat, die der Aggregatzustand des Wachses im Moment des Verfestigens gerade zuließ. Gleitend zwischen der erkennbaren Physiognomie menschlicher Körper und etwas Posthumanem, Ausgefranstem, das sich in andere Figurationen oder Vorstellungen von verkörpertem, fragmentiertem Material hinein entwickelt.
Jene Stockungen in der Bewegung, die hier eher vorläufig zur Skulptur eingetrocknet scheinen, erzeugen wiederum ein bewegliches Imaginäres in den Augen der Betrachtenden, angeregt durch Rührung, Verwirrung oder auch Abscheu und Mitleid beim Anblicken der ausgestellten Figuren. Sie erscheinen wie Momentaufnahmen eines gelebten Daseins, Bruchstücke einer gewesenen Biographie.

Dynamische Situationen zwischen Stocken und Fortbewegen, Gerinnungen ins Bild und fortlaufenden Veränderungen suchen die Exkursionen der Darsteller/innen in Pieces and Elements auf ähnliche Weise auf. Rupfend, zerrend oder auch zart greifend durchwegen sie den Raum, zergliederkörpern, durchkneten und schraffieren ihn, blähen ihn auf oder ziehen ihn zusammen, markieren vorübergehende Spiel-Räume, Un-Tiefen oder variable Begrenzungen auf der Bühne. Diese corporealen Explorationen verdichten sich immer wieder in Momenten von beweglicher Bildlichkeit, kurzfristig gerahmt in dreiköpfigen Schleuderrhythmen, Double-Körpern oder Greifarm-Ketten, in denen die Hände einen Arm unfassen und in etwas Mechanisches transformieren, das zeitweise nicht mehr zum eigenen Körper zu gehören scheint.

Die Allianz von Bildlichkeit mit scheinbar permanenter, langsam fließender und sich in den Raum fortentwickelnder Bewegung scheint nun zunächst ein Paradox – und ist doch gleichsam programmatisch für Schads Arbeiten. Das liegt sicher nicht zuletzt in der Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Laurent Goldring begründet und dessen Idee, die Bilder seien “Organe des Körpers”. Der Kunstwissenschaftler Hans Belting verfolgt ein ähnliches Projekt, wonach Körper immer schon sowohl Speicher als auch Produzenten von Bildern seien – so etwa Vorstellungen, die man sich von Körpern macht und über die man andere Körper (oft mit gewissen Vorerwartungen) wahrnimmt.

In Schads Arbeiten leben nun wiederum Bilder anderer Körper aus vorhergehenden Produktionen, aus tanzkulturellen oder bildkünstlerischen Repertoires der letzten Jahrzehnte als instabile Bildlichkeiten nach, die womöglich kurze Erinnerungen an etwas als bekannt Geglaubtes hervorrufen und jene möglichen Fest-Stellungen dann doch wieder, ganz buchstäblich, unter-wandern. Choreografien von Gliedern oder Doppelkörpern rufen womöglich kurze Déjà-vus wach, an zuvor Gesehenes oder Assoziationen aus dem Reich des Amphibischen. Jene Vor-Stellungen verschleifen sich jedoch im nächsten Augenblick bereits wieder in dynamisierten Körper-Bewegungs-Konstellationen, die den Raum durchweben, ihn besetzen oder als Bordüre marginal de-/markieren. Nicht nur die Körper verflechten sich dabei in prozessualen, zuweilen bildlich zusammengezogenen Skulpturen, auch der Raum wird als Ort theatraler Präsentation konstelliert, behauptet und, in dieser Galerie geweblicher Bildbewegungen, für einige Momente in andere Dispositive, etwa dem eines Ausstellungsraumes, überführt.

Und eine andere Dimension kommt dabei noch ins Spiel: Die der Gemeinschaftlichkeit. So treffen sich hier Individuum und Viele, in Vereinzelungen und gleich darauf wieder Austauschprozessen, in Verhakungen und Vielfalten, die sich bewegen, bewegt werden, sich berühren, abstoßen und wieder miteinander umgehen. Im Gewirr der Glieder und Körper lösen sich Einzelne ab, gehen ihrer Wege, schließen sich wieder an, tauchen unter oder verweilen am Rande, zuschauend, um Augenblicke später wieder teilzunehmen. Jene Pluralitäten konturieren letztlich auch ein zutiefst demokratisches Szenario, wenn wir Politisches und mithin Menschliches als Akzeptanz, Respekt, Offenheit und Verspielheit für andere Weisen und Möglichkeiten verstehen, uns und insbesondere unsere soziale wie materielle Umgebung wahrzunehmen und zu begreifen.

Referenzen:
Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Fink, 2001.
Bilder von Berline de Bruyckere u.a. hier: leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/75/berlinde-de-bruyckere (letzter Zugriff 9.11.2016)

Der Weg nach draußen
19. Juni 2021, von Jenny Mahla, erschienen in tanzschreiber.de

Mit „Pieces and Elements“ (Fragment #1) und der Vorpremiere von „FUR“ präsentiert Isabelle Schad vom 17.-19. Juni 2021 einen Doppelabend unter freiem Himmel im Charlottenburger Globe Theater. Als eine der ersten Liveperformances ist die Double Bill für die Künstler*innen und Zuschauenden ein kleines Highlight.

Der Drang rauszugehen, um weitermachen zu können, hat Isabelle Schad das letzte Jahr über begleitet und auch ihre künstlerische Praxis geprägt. Ihre Open Practice Sessions (OPS) hatte sie seit dem zweiten Lockdown im November 2020 in den Humboldthain verlegt und unter Einhaltung der Hygienebestimmungen war es ihr so mit einer kleinen Gruppe von Tänzer*innen möglich, gemeinsam weiter zu praktizieren. Dieser bewusste Schritt nach draußen als Strategie, um nicht in ein echtes Loch zu fallen, war ein wichtiger Impuls, wie die Tanzpreisträgerin auf der Homepage der OPS schreibt.

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Sich mit dem zu arrangieren, was noch möglich ist und dabei zu spekulieren, was später hoffentlich realisierbar ist, war wohl das täglich Brot der meisten Kunst- und Kulturschaffenden in dieser ersten Jahreshälfte. Im Falle von Isabelle Schad ging die Rechnung bezüglich der angesetzten Juni-Vorstellungen auf. Mit Open Air Veranstaltungen zu planen und die Stücke entsprechend anzupassen versprach die besten Aussichten, wie sie selbst rückblickend sagt. So halbierte sie beispielsweise die Besetzung von „Pieces and Elements“ von ursprünglich zwölf auf sechs Tänzer*innen. Im Original war die Arbeit, welche als zweiter Teil ihrer Trilogie der Frage nachgeht, wie aus Einzelkörpern Kollektive entstehen können, eine Stunde lang, doch auch der 25-minütige Ausschnitt zieht das Publikum bereits in eine faszinierende Welt der Zeitlosigkeit.

Die Tänzer*innen (Jozefien Beckers, Frederike Dofn, Josephine Findeisen, Przemek Kaminski, Manuel Lindner, Claudia Tomas) treten zunächst fast unbemerkt aus den, Corona-bedingt lückenhaften, Stuhlreihen hervor und schreiten auf die hölzerne Rundbühne zu. Die kreisförmigen, repetitiven Bewegungen der Schultern mit ausgestreckten und nach oben erhobenen Armen sowie verschränkten Händen werden erst nach und nach von minimalen Variationen durchsetzt. Unsere Aufmerksamkeit, um die in Schads Choreografien typische Detailveränderung nicht zu verpassen, ist im Outdoor-Setting, mit Sportplatz in Hörweite und Schwalben im Tiefflug, durchaus gefordert. Doch der Fluss der Bewegungen nimmt das betrachtende Auge immer wieder mühelos mit. Zumal das Stück selbst die Verbindung zur Natur sucht und vorhandene Elemente in Bezug setzt. Wie sich daraus ein gemeinsamer Rhythmus ergeben kann, zeigen die Tänzer*innen auf der Bühne mit ihren organisch runden Bewegungen des Oberkörpers und der Arme, ohne dabei unbedingt Synchronität finden zu müssen.

Dass es auch um das Erforschen zeitlicher Dimensionen geht, verdeutlichen die schwingenden Hin-und-Her-Bewegungen der später angewinkelten Arme. Mittels des Kontrasts von heller Haut und schwarzen Shirts vor einem schwarzen Moltonhintergrund, sehen wir vor allem sich bewegende Gliedmaßen – zumal uns die Tänzer*innen zu Beginn des Ausschnitts vor allem den Rücken zugewandt haben. Die rotierenden Arme erzeugen Assoziationen von oszillierenden Pendeln bis zu Rotorblättern und es drängt sich die Frage auf, ob dieses Hin und Her ein Zögern oder die Unklarheit ist, wer wann wie weit gehen möchte oder kann. Auch die räumliche Entwicklung ist von einem vor und zurück geprägt und so scheint sich das Gesamtsystem, inklusive wippender Zuschauer*innen-Köpfe, tatsächlich lange erstmal einpendeln zu müssen. Doch so subtil wie sich Veränderungsimpulse in Schads Arbeiten teils einschleichen können, genauso zielsicher kann ein*e Tänzer*in den Bewegungsmodus schlagartig ändern und den Anderen diesen Anstoß weitergeben. So werden die rhythmischen Bewegungschöre tatsächlich nicht überspannt, sondern entwickeln sich, zur rechten Zeit von morphenden Impulsen getragen, weiter.

Ob oder wie die besondere Ästhetik von „Pieces and Elements“ außerhalb der Blackbox, für welche das Werk konzipiert wurde, funktioniert, war eine spannende Frage, mit der sich die Choreografin im Adaptionsprozess beschäftigte. Welche visuellen Effekte auf der Sommerbühne überhaupt möglich sind, war entsprechend ein Kriterium bei der Wahl des Ausschnitts. Die Bühnensituation stellt sich, wie der Name des Globe Theaters mit Verweis auf Shakespearesche Traditionen vermuten lässt, als runde Bretterbühne dar. Der teils rohe und eigensinnige Charakter dieses Ortes macht nicht nur seinen Sommerabendcharme aus, er bietet auch Freiräume, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wie Isabelle Schad im Gespräch ausführt. Mit ihrem Team hatte sie eine Woche lang vor Ort proben können, bedingt durch die hochsommerlichen Temperaturen vor allem frühmorgens und dank Kühlung mittels Wasserschlauch. Auch zu Vorstellungsbeginn um 19.30 Uhr stand für viele Zuschauende zunächst die Frage im Vordergrund, ob sie einen Schattenplatz ergattern würden. Wie Licht und Schatten, aber auch der Raum selbst, den Vorstellungsbesuch prägen, ist also durchaus anders als beim Original zwischen vier schwarzen Wänden. Dass am Ende des Abends bei dem faszinierenden Soloportrait „FUR“ tatsächlich zwei Scheinwerfer an sind, wirkt eher nostalgisch als notwendig in diesem Kontext. (Minimale Bewegungen: Isabelle Schads „FUR“, Katja Vaghi über die Showings mit Aya Toraiwa, 02.08.2020)

Alles in allem ist dieser gelungene Doppelabend, der für Viele sicherlich die erste Live-Veranstaltung seit vielen Monaten ist, gerade auch ob der leiblichen Kopräsenz ein echtes Highlight. Die Wege, die uns nach draußen führen, lohnen in jedem Falle, wenn sie von herausragenden Künstlerinnen wie Isabelle Schad gestaltet werden.

Die Double Bill „Pieces and Elements“ (Fragment #1) und „FUR“ (Vor-Premiere) ist noch heute Abend, am 19. Juni 2021 um 19.30 Uhr im Globe Theater zu sehen.

Die Premiere von „FUR“ findet am 22. Juli 2021 in den Sophiensælen statt. Als Einladung zum gemeinsamen Rausgehen im Kontext ihrer Open Practice Sessions plant Isabelle Schad vom 6. bis 8. August 2021 ein kleines Outdoor-Festival im Humboldthain und der Tanzhalle Wiesenburg.

Bewegungslabor menschlicher Körper
Wegweisend: Isabelle Schads „Pieces and Elements“ im HAU2
Von Volkmar Draeger, erschienen in Neues Deutschland

Seitdem Isabelle Schad, nach neunjährigem Studium an der John Cranko Schule Stuttgart, das Ballett verlassen und sich dem zeitgenössischen Tanz zugewandt hat, ist sie zu einer der interessantesten Choreografinnen herangewachsen. Mehr als 15 Jahre schon zeigt sie regelmäßig eigene Stücke, in deren Mitte die intensive Erforschung des Körpers steht. Ohne jeglichen erzählerischen Ehrgeiz, dafür umso konsequenter im Ausloten physischer Bewegungsmöglichkeiten. Auch mit ihrer neuen Arbeit bleibt sie diesem Anspruch treu. „Pieces and Elements“ wirft eine Stunde lang 12 Tänzerinnen und Tänzer auf der zum Plateau erhobenen Szene des HAU2 ins Experimentallabor, zergliedert ihre Leiber in die separaten Funktionen von Extremitäten und Rumpf und erzeugt hierbei Bewegungszyklen, die bisweilen an kinematische Getriebe erinnern und zu bizarren Formen führen.

Nicht nur am Anfang stehen die Akteure mit dem Rücken zum Publikum. Ihre Gesichter bleiben fast durchgängig unsichtbar, was die Geschlechtszugehörigkeit aufhebt. Zunächst tragen sie die Unterarme hinterm Kopf abgewinkelt, wenden den Oberkörper hin und her, rudern dann wie Propeller. Pausenlos schiebt sich dabei der amorphe Gruppenkörper durch den Raum, wobei sich auch seine einzelnen „Elemente“ in der Aufstellung verändern. Langsam, doch stetig vollzieht sich der Wanderprozess. Eine Leinwand, mäßig erhellt, ist mehrfach Begrenzung nach hinten, sofern sie nicht erlischt und einen scheinbar unendlichen Raum suggeriert. In bienenfleißigen Bewegungskaskaden erobert sich das pulsende System den Raum, von leise grummelndem Klang oder Rauschen von Wasser grundiert, fügt sich zu zwei Reihen, in denen die versetzt kurbelnden Arme einen Turboeffekt erzeugen. Nach einem Platzwechsel, bei dem jeder Eigenes ausführen kann, finden sich die Tänzer körpereng zur Linie, aus der einzeln die zum Spitzdach gefassten Arme hochzucken, als wollten sie für Augenblicke gotische Dome aufblitzen lassen.

Doch Schad hat noch weit verblüffendere Arten, mit den Körpern zu arbeiten, herausgefunden. Sie lässt die Tänzer sich auf den Bauch legen, ein Hosenbein aufkrempeln, dann den Unterschenkel zum Rücken ziehen und sich rutschend vorwärts fortbewegen. Im Stand wiederum fassen sie sich als Reihe an den Ellbogen und formen Wellen, als wollten sie Eisenbahn spielen. Allerdings dürfte es der Choreografin um solch konkrete Assoziationen am wenigsten gehen, vielmehr um den mechanischen Bewegungsimpetus unserer menschlichen Physis. So legen sich die Tänzer mit bloßem Oberkörper, Bein an Bein, auf den Boden und rollen als überdehnte, verschränkte Zweierwesen. Extrem mattes Licht hebt nur die unbedeckten Körperteile hervor. Gänzlich nackt nehmen sie dann stabile Seitenlage ein, recken die Arme, verbergen indes den Kopf, strecken sich oder kontrahieren, hocken im Schneidersitz mit abgewinkelten Armen wie Spinnen, ziehen die Beine an, als seien sie Masthähnchen. Endgültig werden sie da zu entpersönlichten Wesen, Skulpturen aus Fleisch, jedoch ohne jede inhumane Anmutung.

Gegen Schluss wartet Schad mit neuen, noch staunenswerteren Formspielen auf. Ein stehender Partner fasst den liegenden an den Beinen und zieht ihn, abwechselnd rechts, links, vorwärts. Arme und Beine als geschlossenes Oval verändern dabei ständig knetartig ihre Form wie ein in alle Richtungen verbiegbares, gaukelndes Skelett, eine oszillierende Amöbe, eine atmende Zelle. Am Ende stehen alle wieder nackt auf dem Plateau, die Oberkörper bis zur Gesichtslosigkeit niedergebeugt, schütteln oder strubeln das Haar, beugen und strecken die Knie als Test der Gelenke, werden ein waberndes Universum aus Aufrechten und Liegenden mit weit überkreuzten Beinen. Über diesem lange ausgekosteten Bild erlischt das Licht, bis letztlich auch der Ton abebbt. Eine eindrucksvolle Lektion in bewegter Geometrie hat Isabell Schad erteilt, mehrmals Menschen auf ihre Blöße zurückgeführt, ohne sie bloßzustellen. Im Unterschied zu den meisten anderen nudistischen Stücken gelingt der Choreografin in ihrer Behutsamkeit die Aufhebung des Sexus zugunsten, man mag es kaum glauben, einer paradiesischen Unschuld, der es nur um die Funktionalität des menschlichen Körpers geht: um das „Material“ Körper als Voraussetzung jeder tänzerischen Aktion. Schad hat mit „Pieces and Elements“ eine wegweisende Arbeit vorgelegt, eine die Schule machen sollte und weit über Berlins Stadtgrenzen hinaus erfolgreich sein dürfte.

Premiere auf PACT Zollverein: „Pieces And Elements“ von Isabelle Schad
In Kultur, Ruhrgebiet | Am 13. Mai 2017 |

Nacheinander steigen Tanzende auf das erhöhte, graue Bühnenquadrat. Im fahlen Licht stehen sie mit dem Rücken zu den Zuschauern, verschränken die Hände über dem Kopf und drehen ihre Schultern. Eine schnelle mechanische Bewegung wie kleine Bauteile an einer komplexen Maschine. Die zwölf Frauen und Männer bewegen sich dabei langsam und scheinbar chaotisch auf der Bühne durcheinander, das Lichtdesign von Mehdi Toutain-Lopez isoliert fast wie im schwarzen Theater die nackten Arme von den in schlichte schwarze Wirkware gekleideten Körpern. Dann ändert sich langsam das Bewegungsmuster, andere Drehbewegungen der Arme kommen hinzu, das Maschinelle bleibt erhalten. Dazu liefert Damir Simunovic eine leise undeutliche, elektronische Soundfläche. Ein Rauschen nur.

Isabelle Schads Tanzperformance „Pieces And Elements“ sucht nach elementaren Bewegungen. Da ist das Mechanische der Anfangsszene, den Großteil des Abends nehmen aber Bewegungen ein, die niederen Lebensformen abgeschaut zu sein scheinen, manchmal sogar vegetabil wirken, oftmals verschmelzen zwei Tanzende zu einem einzigen pulsierenden, kriechenden, wabernden Organismus. Dann wieder sind es nur einzelne Körper- oder Muskelpartien, die wie Einzeller oder Weichtiere kriechen, konvulsivisch zucken, sich aufblähen und zusammenziehen, sich entfalten oder scheinbar ohne eigenes Zutun von einer äußeren Kraft bewegt werden. Der Soundtrack liefert dazu sehr unterschwellige Umgebungen. Mal schabt es, dann rauscht es wie ein Wind in Blättern oder über Wüstensand, dann tauchten wir unter Wasser, ein leichtes Glucksen und Blubbern.

Es ist eine Suche nach dem Urgrund der Bewegung. Einem vormenschlichen Urgrund. Isabelle Schaf begibt sich in den Urschlamm der Bewegung. Selten sind an diesem Abend die Gesichter der Tanzenden zu sehen, meist stehen oder liegen sie mit dem Rücken zum Publikum oder halten die Köpfe gesenkt und verbergen ihre Individualität hinter ihren Haaren. So sind sie pure Muskulatur, reines pulsierendes Leben, selbst wenn sie im Verlauf des Stückes nackt tanzen, liegt darin keine Provokation, kein Skandalon, kein erotischer Anklang. Viel zu sehr entmenscht und zu reiner Bewegung werden die Körper. Dass das gelingt, ist vielleicht das Erstaunlichste an Isabelle Schads meditativer Choreographie.
Von Honke Rambow

Der nackte Körper wird zur beweglichen Modelliermasse
WAZ 17.05.2017

Im Halbdunkel bewegen sich Körper. Ein Dutzend Menschen, alle im schwarzen Trainingszeug. Sie haben den Rücken dem Publikum zugewandt, die nackten Unterarme sind über dem Kopf angewinkelt, die Oberkörper wiegen sich hin und her. Langsam gleiten sie durch den Raum. Eine amorphe, sich stetig bewegende Masse an Körpern, nicht unterscheidbar, aller Individualität enthoben. Jeder der Tänzer ist ein Element im Getriebe, das unaufhörlich wiegt und wogt, pumpt, sich verschränkt und wieder löst.
Irgendwann leuchten Unterschenkel aus dem Dunkel, wälzen sich die Körper auf dem Boden, später fallen Kleidungsstücke. Nie berührt diese Nacktheit peinlich. Die Körper erscheinen entpersönlicht, sind Modelliermasse für die Choreographin Isabelle Schad, die in „Pieces and Elements“ wie eine Bildhauerin das Dutzend Männer und Frauen zum Ganzen formt.
Hin und wieder verfängt sich der Blick an einzelne der nackten, langhingestreckten Tanzenden, die auf dem Boden in Seitenlage lagern – immer mit dem Rücken zum Publikum. Doch nicht lange währen diese Momente. Weiter geht es mit dem Verschlingen, dem Rotieren, diesem unaufhörlichen Bewegungsfluss.
„Pieces and Elements“ ist außergewöhnlich in jeder Hinsicht. Auf Pact Zollverein erlebte das Werk jetzt eine mit Begeisterung aufgenommene Vorführung. Isabelle Schad erzielt mit ihren monoton fließenden Körperlandschaften Visionen.

ENERGIE DER ELEMENTE
Isabelle Schads “Pieces and Elements” am Berliner HAU

Wo endet und wo beginnt der Körper?
In Schads neuer Arbeit, dem zweiten Teil der Trilogie über Kollektivkörper, wird die Irritation der Wahrnehmung erneut zur Strategie, um das Verhältnis des einzelnen Körpers in der Gruppe zu verhandeln.
Von Charlotte Riggert, erschienen in tanznetz.de

Wie schon die Vorgängerstücke „Collective Jumps“ oder „Der Bau“ kommt auch „Pieces and Elements“ mit einem puristischen und gleichsam extrem wirkungsvollen Bühnensetting aus: Im Hintergrund eine Leinwand, davor ein schwarzes Podest. Der Sound, der sich während der gesamten Performance über den Bühnenraum legt, fügt sich organisch ein in das Geschehen und öffnet weitere Wahrnehmungsräume. Tropfen, Kratzen, Schaben, Ziehen – die persistente Bewegung, die sich hier zeigt, wird auch über den Ton erlebbar.

Zunächst ist die Gruppe der PerformerInnen als Block zu sehen, mit dem Rücken zum Zuschauerraum, schwarz gekleidet und in samtigem Zwielicht. Die Bewegungsbetonung liegt auf dem Oberkörper, sie alle schwenken die Arme, über dem Kopf verschlungen, drehen, rotieren, legen die Hände in den Nacken. Und obwohl die Bewegungen einander gleichen, sind sie doch nicht dieselben – die PerformerInnen sind niemals unisono, sondern vielmehr einzelne Elemente, die in ihrem Zusammen-Sein ein Ganzes bilden. Innerhalb dieses Ganzen sind die unterschiedlichsten Rhythmen zu sehen, feinste Nuancen, die Freiraum für Assoziationen geben, ohne den Blick in festgelegte Muster zu drängen.

Dabei besticht die Bildlichkeit, die sich immer wieder einstellt – wenn beispielsweise die schwingenden Arme der PerformerInnen als ein dauerhaftes Bild des Kreises auf der Netzhaut bleiben oder die Körperlandschaften, die sich formieren, plötzlich als organische Fläche erscheinen. Es ist die Verschränkung der Genres, die Schads Arbeiten diese besondere Qualität verleiht – an den Schnittstellen von bildender Kunst und Tanz und verschiedenster Körpertechniken, entsteht eine Vieldeutigkeit des Sichtbaren, das das Vergessen von bereits Gesehenem anregt. Es ist dabei geradezu unheimlich, wie eigentlich Bekanntes zu Unbekanntem wird: Die nackten Tänzerkörper, die seitlich und mit dem Rücken zum Zuschauerraum sich vom schwarzen Boden abheben, Arme und Beine so angewinkelt, dass sie aus Publikumsperspektive nicht zu sehen sind, werden plötzlich zu Fragmenten, werden Torsi, werden organische Körpergebilde. Und wieder zeigt sich hier eine Bildlichkeit, die in ein Spannungsverhältnis tritt zu dem organischen Bewegungsfluss.

Als die Gruppe der PerformerInnen am Ende schließlich wieder dem Publikum gegenüber steht, diesmal frontal und doch ohne die Gesichter zu zeigen, kehrt Ruhe ein und das Gefühl, eine Reise gemacht zu haben. Diese Reise ist unbedingt sehenswert, auch wenn sie für jeden etwas anderes sein wird.

Kurvenreiche Umstülpungskunst
CHOREOGRAFIE Vom Labor auf die Bühne: Die Tänzerin Isabelle Schad präsentiert heute im HAU 2 noch einmal „Pieces and Elements“, den zweiten Teil ihrer „Kollektivkörper“-Trilogie

VON ASTRID KAMINSKI, taz Berlin vom 28.11.2016

Niemandem wurde die Brust ab- genommen, niemandem läuft das Menstruationsblut am Bein herunter, niemand leidet an Verwachsungen, sichtbaren Behinderungen, Fettwülsten oder unterliegt sonstig deregulierten, unkontrollierten oder nicht kontrollierbaren Körpererscheinungen. Das ist zunächst festzuhalten, wenn Isabelle Schad nun mit „Pieces and Elements“ den zweiten Teil ihrer Trilogie über „Kollektivkörper“ zeigt.

Sosehr sie betont, „holistisch“ zu arbeiten, so sehr bezieht sie sich damit auf einen klassisch (wenn auch nicht klassisch ausgebildeten) repräsentativen Tänzerkörper: jung, dynamisch, weiß und mit physisch eindeutiger – wenn auch nicht betonter – Geschlechtlichkeit. Die nackten Gliedmaßen der zwölf Tänzer*innen treten in Schwarzlichtästhetik als gold-weiß hervor, werden die schwarzen T- Shirts und Hosen abgestreift, erscheinen auch die gleichmäßig proportionierten Torsi in demselben Licht.

Dass dieser Aspekt ihrer Arbeit in „Pieces and Elements“ in den Vordergrund rückt, liegt auch an der Programmation des HAU Hebbel am Ufer unter Tanzkurator Ricardo Carmona, der parallel zu Schad die aus einer Minderheitenpolitik heraus gedachte Performance „Minor Matters“ von Ligia Lewis zeigt. Gleichzeitig liegt auch noch Mia Habibs „Tanz im August“-Arbeit „A Song To …“, die auf der gleichen Bühne gezeigt wurde, als Folie im Raum. Habib ließ ein Kollektiv aus 50 nackten Körpern aufmarschieren, das sie in einer Choreografie aus Schwarmbewegungen, Kettenreaktionen, Verbindungs- und Vereinzelungsimpulsen präsentierte. Die Individualkörper innerhalb der Körpermasse waren von biologischer und sozialer Diversität gekennzeichnet: Sie repräsentierten unterschiedliche Geschlechtlichkeiten, Alter, Hautfarben und körperliche Erhaltungsmerkmale – Falten, Glatzen, gefährlich geschwollene Hoden inklusive.

Sklavische Fixierung
Muss ein Körper auf der Bühne seine Körperlichkeit immer auch politisch repräsentieren? In der zeitgenössischen Tanz- Performance hat sich das körperpolitische Selbstverständnis weitestgehend durchgesetzt. Auch in dieser Beziehung ist der Tanz nicht vom Tänzer zu trennen. Paradoxerweise verlangt
eine solche Politisierung jedoch die geradezu sklavische Fixierung auf bestimmte, im gesellschaftlichen Diskurs gerade dominante Aspekte äußerer Körperlichkeit als Referenzgröße. Wenn Isabelle Schad ihren Kollektivkörper als homogen präsentiert, dann ist das vielleicht weder ein Bruch mit aktuellen Repräsentationsfloskeln noch eine komplett unbewusste Unterlaufung davon. Ihr Kollektivkörper ist als Produkt weniger ein Abbild äußerer politischer Realitäten als ein Laborerzeugnis unter stabilen Bedingungen.
Seit einigen Jahren hat die Choreografin sich auf das Zusammenspiel von Körper, Materie und Raum als energetische Prinzipien konzentriert. Während sie in den „Der Bau“ übertitelten Arbeiten noch die konkrete Anverwandlung von Körper und Materie probte, konzentriert sie sich für ihre Trilogie nun ganz auf die körpereigene Materie und damit auf Prozesse wie Fließ- und Ge- lenkbewegungen, Toni, Texturen, Dynamiken und Gegendynamiken von Organfunktionen und Energieflüssen.

Die unter einem bestimmten Fokus jeweils einzeln erzeugten Bewegungsmuster greifen als- bald ineinander, vermischen sich zu kanonischen Gruppen- bewegungen, die visuell ornamentale Züge annehmen, aber – in diesem zweiten Trilogie-Teil– nie zu einer abgeschlossenen Form gerinnen. Vor der Formvollendung setzt bereits die Metamorphose wieder ein.

Wem irgendwo im Hintergrund Gilles Deleuzes „Die Falte“ dämmert, kann wahrscheinlich nicht anders, als nachzulesen und Schads Entfaltungsprinzipien im Hinblick auf eine (auf Leibniz bezogene) „komprimierende Kraft“ zu sehen, die „jedes Stück Materie auf die umliegenden bezieht, auf die umgebenden Teile, die den in Betracht stehenden Körper umfließen, durchdringen und dessen Kurve bestimmen“.

Die Bewegungen, die der mal flächigen, mal mehrdimensionalen, oft auf lemniskatischen Prinzipien basierenden Körper- Kurvenlandschaft zugrunde liegen, wurden aus somatischen Methoden wie Body-Mind-Centering, Aikido oder Shiatsu entwickelt – das lässt sich teils sehen, aber auch in Interviews mit Schad nachlesen. Allesamt Techniken, die zur Harmonisierung des Körpers dienen. Zusammen mit der indirekt wirkenden Klangkulisse aus Reiben, Rauschen, Plätschern, Grummeln, Dröhnen ergibt sich daraus eine meditative (und, nach so manchem Atemgeräusch im Zuschauersaal zu urteilen, sogar einschläfernde) Monotonie, Akzente sind allenfalls wechselnde Richtungsvektoren.

Das Erstaunliche aber ist, dass die äußere Schläfrigkeit mit einer enormen inneren Bewegtheit einhergeht, bei mir teilweise bis zum Magenumdrehen. Als hätten das unbewusste Innen und das wache Außen die Rollen getauscht.

Hebbel am Ufer
Ligia Lewis: “minor matter” | Isabelle Schad: “pieces and elements”

Von Frank Schmid, Kulturradio vom RBB

Wie entstehen und funktionieren Gemeinschaften? Was bringt Menschen zueinander, was bindet sie aneinander und wie werden andere aus diesen Gemeinschaften ausgeschlossen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die beiden Berliner Choreografinnen Isabelle Schad und Ligia Lewis in ihren neuen Stücken.

Isabelle Schad lässt in “pieces and elements” die 12 Tänzerinnen und Tänzer in einer großen Gemeinschaft aufgehen, die individuellen Unterschiede lösen sich auf. Ligia Lewis hingegen betont in “minor matter” die Differenz der drei Performer. Sie entwirft eine Gemeinschaft, die durch Druck von außen entsteht und bewahrt die Vielfalt der Individualität, auch wenn dies die Gruppe zu sprengen droht. Also zwei völlig verschiedene Perspektiven auf das Thema der Gemeinschaft.

Isabelle Schad: “pieces and elements”

Isabelle Schad gestaltet ihre Gemeinschaft über eine hermetisch geschlossene Gesamt-Ästhetik und über Kleidung und Bewegung. Alle 12 Tänzerinnen und Tänzer tragen schwarze Hosen und T-Shirts – zunächst leuchten nur die Unterarme grellweiß in dem ebenfalls völlig schwarz gehaltenen Bühnenraum, später auch die entblößten Unterschenkel und dann sind alle gleichermaßen völlig nackt. Und alle führen dieselben Bewegungen aus. Sie stehen mit dem Rücken zum Publikum, rollen und schwingen die Arme in den Schultergelenken oder wiegen die Oberkörper in den Hüften.

Das sind monotone Bewegungsabfolgen mit nur minimalen Unterschieden in der Ausführung, je nach körperlichen Gegebenheiten – eine Einheitlichkeit, die sich fortgesetzt beim Wälzen über den Boden, beim Zusammenballen zu Körperknäueln, beim Auf- und Ineinander-Liegen.

Auch, weil erst beim Schlussapplaus die Gesichter der Tänzer zu sehen sind, verschwindet jede Individualität, lösen sich die Körper wie in Landschaften auf, individuelle Merkmale, Bewegungsqualitäten, Geschlechtszugehörigkeit – alles ist aufgehoben, der Körper ist Material. Und einmal mehr wird Isabelle Schads Nähe zur Bildenden Kunst deutlich: Körper und Gruppen wirken bildhaft und skulptural zugleich.

Kein Zwangscharakter, meditative Sogwirkung

Die Monotonie in der Reduktion der Bewegungsabfolgen wirkt durchaus etwas manisch, hat jedoch keinen Zwangscharakter, sondern eine meditative Sogwirkung. Die Aufmerksamkeit wird auf Detailverschiebungen einzelner Körperteile gelenkt und auf die Prozesshaftigkeit der Gruppen-Bildungen.

Isabelle Schad ist eine hervorragend präzise gearbeitete Choreografie gelungen. Wie Impulse von einem zum anderen wandern, wie sich energetische Zustände übertragen, wie Raum-Gewichtungen entstehen, wie die Körper plastisch werden und zu einem Organismus verschmelzen, wie sich Stockungen und Stauungen ausbreiten und auflösen, wie das Gesamtgewebe erblüht und vergeht – das ist ausgezeichnet durchdacht und in Szene gesetzt.

Ein Schwarm Insektoider
Von Elena Philipp, 29.11.2016, tanzraum Berlin

Komplexe (an)organische Körperkonstellationen zeigt Isabelle Schad am HAU2 mit “Pieces and Elements”

Rotation, Schwingen, Verschiebung. – Schwarz gekleidete Körper in Rückenansicht vor einem graublau ausgeleuchteten Bühnenprospekt. Die aufeinander gelegten Unterarme über den Kopf gehoben, Ellbogen umfasst. Mal legt eine*r eine Hand zwischen die Schulterblätter oder faltet die Finger und streckt die Arme, nie synchron, sondern in zeitversetztem Wogen. Mechanisch drehen sich die Oberkörper der zwölf Performer*innen dabei von rechts nach links wie Kolben, aber der Drehimpuls gelangt weich in die Gelenke und erzeugt ein Nachschwingen als wippten Äste im Wind.

Bereits in den ersten Sekunden etabliert Isabelle Schad das Ineinander von Natürlichem und Künstlichem, das sie in “Pieces and Elements” (unter anderem) interessiert. Damir Simunovics Soundscape verstärkt die Ahnung natürlicher und technischer Gefüge: Regenrauschen, das Reiben von Papier, Schläge auf Metall, unterlegt von Synthesizerklängen – wabernden Tonflächen oder pulsenden Bässen. Bei mir setzt ein interpretatorischer Reflex ein, der die sich kontinuierlich entfaltenden Formationen auf der Bühne des HAU2 assoziierend auf konkrete Begriffe bringen möchte. Dabei kann man den unaufhörlichen Fluss der Bewegungen, die Transformation von Körperkonstellationen auch einfach betrachten wie frühe Filmexperimente, die der ‚reinen’ Bewegung als audio-visuellem Geschehen huldigen – wobei die Dynamik und die Spannungen bei Schad ganz andere sind. Sehr rund und weich sind ihre Übergänge, das Tempo ist gedrosselt und das allmähliche Fließen der Bilder ist von hoher Viskosität, während der frühe Film mit seiner Faszination für Eisenbahn und Industrie das Stoßweise, Abrupte und die reibungsfreie Beschleunigung feierte.
In seiner Abstraktion steht “Pieces and Elements” auch der Bildenden Kunst nahe. Ein effektvolles Schwarz-Weiß der Körperglieder ruft Isabelle Schads durchgängig hellhäutiger Cast hervor, der mal in langer schwarzer Trainingskleidung, mal mit kurzen Ärmeln oder hochgekrempelten Hosenbeinen und oft auch nackt agiert. Aus dunkler Kleidung ragende, linear angeordnete Extremitäten – Unterschenkel neben Unterschenkel, kreisende oder komplex miteinander verschränkte Arme – bilden Ornamente, während Schad den nackten Leibern eine teigig-fleischliche Qualität verleiht und hier eher Skulpturen als Muster entstehen: In Seitenlage, ein Bein ausgestreckt, das andere für das Publikum verborgen nach vorne gezogen und eine Faust über dem Kopf aufgestützt, kneten minimale Bewegungen von Schulter und Brustkorb die fast amorph erscheinende Figurine. Hängt im Sitzen der Kopf nach unten, während die nach vorne gezogenen Arme die Schultern knöchern aufspannen und die Knie zur Seite kippen, meine ich in den Rückenskulpturen gigantisches Geflügel zu sehen. Wie eine Bildhauerin arbeitet Schad durchweg die Materialität der Körper heraus: Sehnen, Muskeln, Knochen treten plastisch hervor, die Haut schimmert im Kunstlicht (Mehdi Toutain-Lopez) mal porzellanweiß-roséfarben wie Ingres’ “Grande Odalisque”, mal fahl-lila wie Francis Bacons Kadaver.

Verbunden scheinen die zwölf Leiber durch spürende Kommunikation, durch Impulse und Resonanzen. Der kollektive Körper, an dem Isabelle Schad mit “Pieces and Elements” zu arbeiten erklärt, scheint mir eher der symbiotisch-vielgliedrige Organismus eines Wesens zwischen Tier-, Pilz- und Pflanzenreich denn der soziopolitische Körper des Gemeinwesens. Zwar betont die Choreografin die flachen Hierarchien und die offene Hingabe im Probenprozess, aber die in etlichen Merkmalen deutliche Homogenität der Gruppe mit ihren acht Frauen und vier Männern wird zu sehr ausgeblendet. Wie häufig bei Isabelle Schad steht auch “Pieces and Elements” in Beziehung zu anderen Arbeiten: Wiederkehrende Bewegungen und Interessen verbinden die Performance mit der Vorstudie “Solo für Lea”, in der Schad mit Lea Moro diesen Oktober in den Sophiensaelen etliches choreografisches Material ausprobierte, wie auch mit der Arbeit “Collective Jumps” aus dem Jahr 2014. Deren visuell ähnliche Körperformationen kommen narrativer, interpretierbarer daher. Und zeigten die Performer*innen in “Collective Jumps” noch Gesicht, sind sie in “Pieces and Elements” quasi depersonalisiert, nurmehr Rundungen oder Streckungen, Haut und Haare – Einzelstücke, eingebettet in eine Gruppe. Maschinenteile in gekoppelter Bewegung. Ein mathematischen Formeln gehorchendes Partikelsystem. Ein Schwarm Insektoider mit in unterschiedlichen Zyklen ausagierten und dennoch gleichgerichteten Interessen.