Sie, 46 Jahre, mit einem perfekt trainierten Körper, erscheint nackt und marmorn, ähnlich wie die Körper von Big Nudes von Helmut Newton in der Ausstellung der „Tre Oci“, die bis zum 8 August noch zu sehen ist. Überraschend und überwältigend; diese Arbeit verblüfft mit so viel Einfachheit und tiefer Reife.
Read more
Isabelle ist von orangefarbigen, fast erdrückenden Lichtern beleuchtet, die von einer niedrig abhängenden Plattform, welche sich entlang des gesamten Tanzbodens erstreckt, eingerahmt sind. Kopf über gebeugt, sich an ihre Knöchel klammernd und ihrer Muskelbewegung bewusst, bewegt sie sich schlürfend; während Geräusche von schlammiger Flüssigkeit und knarrend knackenden Knochen von ihrem eigenen Körper aus zu kommen scheinen. Als ob ein Mikrofon in ihrer Vagina die Klänge der Darmkrämpfe, der Dehnung der Haut und der Muskelspannung ausbreitet. Alles wird zur Sound-Box; ihr Körper, der Raum und das Publikum, das nicht aufhört, sie anzustarren. Inspiriert von der gleichnamigen, vielleicht unvollendeten Kurzgeschichte Kafkas Der Bau entpuppt sich mir vielmehr eine überraschende Erforschung des Non-Dance und nicht, so wie im Programm dargestellt, des Tanztheater. Dort wo wir uns mit der Novelle erneut verbinden möchten, könnten die immer klarer werdenden langen Tücher, die sie einzeln ausrollt ( so als ob die Farbe der Erde symbolisiert würde, die sich mit der Zeit verändert), an die Tunnel erinnern, in dem der Protagonist, ein Hybrid zwischen Ratte und Mensch, sich verkriecht, um sich von der Bedrohung, die von der Außenwelt kommt und ihn terrorisiert, zu entkommen. Und sie ist genau so: am Boden zerstört, nachdem sie diese langen Tücher nach sich gezogen, zerknittert, geschlagen, auf dem Kopf verschachtelt hat und wie eine Brandung wogte. Die Bewegung kräuselt ihre Haare. Der Körper zerlegt sich; die Ellbogen schütteln sich, der Rücken prallt ab. Und am Ende erstreckt sie sich auf dem Boden, schlaff liegend auf den perfekt ausgebreiteten bunten Tüchern: wie ein Leib einer Frau nach der Geburt, der sich wieder ordnet oder wie eine Schlange die sich häutet, all das Gewebe – das der Tücher und jenes ihrer Haut – ziehen, spannen, vermischen und verwickeln sich. Sie werden zu einem amorphen Körper. Ein Haufen von Lumpen, die sich ineinander winden, von einem verängstigten und pulsierenden Herz beseelt und bereit, unter dem Panzer seine Ängste zu bekämpfen. Ein Meisterwerk.
Alice Murtas
blaubartdancewebzine.com/2016/06/30/racconti-da-venezia-la-biennale-danza-2016/
Auszug aus
Corpi nella tana di Kafka
26-06-2016 |24ore
di Marinella Guatterini
…Modern und global, mehr als wirklich zeitgenössisch, so wie viele englische Choreographien, wie z.B. Outlander, “Der Fremde”, kreischt die nüchterne Erzählung Der Bau des deutsch-französische Paar Isabelle Schad und Laurent Goldring, inspiriert von der vielleicht unvollendeten und namengebenden Geschichte von Franz Kafka. Nur sie, nackt, aber rein, hält die Szene für fast eine Stunde, mit ihrem sich zusammenziehend und ausdehnenden Körper in atemberaubend muskulärer Spannung. Alles nur unter einer großen Lampe als Lichtquelle, welche einmal weich und dann wieder schonungslos ist. Und auf einem Teppich, bedeckt von Tüchern, die sie erobert, um ihrer eigenen Nacktheit ein Schild zu geben. Sie kreiert Wellen aus Wind oder webt ein “Nest“: Ein großes Knäuel, in das sie hineinflüchtet und rollt und aus dem sie heraustritt. Der kafkaeske Insektenmensch ist rational: Er weiß seine Knäuel (Metapher des Aufruhrs, psychologische Klumpen, einfache Gedanken) anzuordnen, bevor er darüber zusammensinkt, so wie die talentierte Choreografin und Performerin (tätig in Berlin), und in ihrer dargelegten minimalen Klarheit, weit entfernt von der Verwirrung der globalen Welt Emanuel Gats.
Auszug aus
Lo spirito femminile della danza, alla Biennale veneziana | Art-O
26 giugno 2016 – Gianni Manzella
…Die freudige Überraschung des Festivals kommt jedoch nicht von dieser Schule, obwohl Isabelle Schad für Wim Vandekeybus tantzte, bevor sie sich in Berlin niederließ. Die 40-jährige Deutsche arbeitet seit einiger Zeit zusammen mit dem Franzosen Laurent Goldring, woraus sich das Stück Der Bau entwickelte. Aber vielleicht ist auch dieses Stück temporär (sie haben auch eine Version von Der Bau für eine große Gruppe von Tänzern realisiert). Die Konstruktion, auf die sich der Titel bezieht, ist so etwas wie ein Loch, in das man hinein- und hinauskriecht wie ein Tier, das aber als Metapher des Körpers und als Protagonist der Arbeit in Verbindung mit dem Außenraum gesehen werden kann. Sie, die Darstellerin, beugt sich vor, die Hände auf den Knien, während sich der Rumpf leicht nach oben und nach unten bewegt. Nackt, unter einem niedrig hängendem hellen Licht-Himmel, der gleichmäßig die ganze Bühne bedeckt, um die Schatten zu beseitigen. Eine Malerei von Bacon, würde man denken, mit diesen verwickelten Körpern, die in einen kreisförmigen Rahmen eingeschrieben sind. Und in der Tat, dieser Körper, der nach und nach Bewegung annimmt und hier zu sein scheint, um sich des Raums bewusst zu werden, der ihn umgibt. Ein Körper, der eine Art von Objektivität besitzt, die nichts andeutet als sich selbst, ohne erotische Verführung (hier jedoch wahrhaftig, im Vergleich zu der fiktiven Nacktheit der zwei Tänzer des Stückes Eden), verstärkt durch das lange schwarze Tuch, mit dem sie hantiert. Sich einhüllend, schwingt sie es vor sich in Wellen, die sich überschlagen und erzeugt ein Bündel aus dem nur der Kopf hervorragt. Sie breitet es auf dem Boden aus, um weitere Tücher, eines nach dem anderen, in helleren Farben mitzunehmen. Ein perfekter Sturm.
Isabelle Schad and Laurent Goldring
“Der Bau (The Burrow)”
Roy and Edna Disney/CalArts Theater (REDCAT), Los Angeles, California, April 16-17, 2016
It is often said that one of a dancer’s unsung partners is the floor. In Isabelle Schad’s and Laurent Goldring’s 45-minute opus, “Der Bau,” one might consider Schad’s partner to be large swaths of fabric that she manipulates during the course of a physically intense, metaphorically-driven work. Based on Kafka’s unfinished novella, The Burrow (Der Bau), a tale describing the universe of an animal entrenched in a place to make it feel protected, the piece deals with the relationship between body and space.
Oh, and did we mention that Schad is completely nude throughout? Here is the body beautiful: exposed, vulnerable, strong, searching and constantly in motion. Set to an original score by Peter Böhm —much silence, whooshing wind sounds, occasional tinny electronica, as well as having hot microphones placed on a sound board on the stage, with the audio mixed live—the opus, which premiered in 2012, conjures numerous landscapes as Schad invites us to be more than spectators, but also to feel her life force, take in her breaths.
The black box space of REDCAT was the perfect backdrop for this intimate and powerful piece that was seen over the weekend and presented in association with the Goethe-Institut’s 2016/2017 United States Tour of European dance. Schad, born in 1970, is a Berlin-based choreographer/dancer who, like her collaborator, Laurent Goldring, was a member of Wim Vandekeybus’ Ultima Vez, a troupe known for violence-strewn, adrenaline-laced works.
Here the violence may have been less an overt onslaught to the body and more in the realm of symbolism, though, considering the relentless workout Schad endured, could probably be deemed somewhat brutal: She held a posture in which she was bent over, her hands rubbing against her knees, before assuming a variety of task-oriented gambits that took on ritualistic, repetitive airs; bouncing, crab-walking, sidling.
In addition, Schad wielded a huge length of black fabric as if she were a matador, Mehdi Toutain-Lopez’ lighting design, at times, illuminating her like a Kara Walker silhouette. When Schad was wholly shrouded in a bolt of cloth, she could have been a burka-wearing Muslim woman.
With her arms raised and hands clasped at the wrists, Schad continued bobbing, a study in OCD, obsessive compulsive disorder, her hair, at first in a bun, eventually shaken loose. This was carpal tunnel of the body as she squatted, a long stretch of silence near deafening, before moving forward, unblinking.
The press notes explained that Schad’s main areas of research are “in the body and its materiality—the body as process, place and space,” with the German certainly a corpus magician, a master of her peculiarly mesmerizing universe. Brandishing another long length of material, this time as giant shawl, Schad thrashed the fabric in neo-Flamenco style. When she was on all fours, she was nothing less than animalistic, Pilobolussian shades of mordant humor also on view.
Schad was, in the best possible sense, possessed, at times bringing to mind images of Da Vinci’s Vitruvian man, or Robert Redford as the doomed, lone sailor from All Is Lost. When the fabric was sensually draped, Schad became a Vionnet model, veering from cartoonish to dead serious, transforming herself into a blushing bride sporting a long train, while yet another image invoked that of a Mardi Gras float-rider.
Or was she this: Schad as Martha Graham acolyte, contained while simultaneously stretching the outer edges of her garb, as La Graham had done executing her dance of mourning, “Lamentation,” in 1930.
Playing with the fabric as if it were a cat’s toy, Schad became a burrower of the highest order, one moment rolling inside a niftily constructed fabric ball, the next morphing into a human Christo sculpture, walking towards the audience, lying prone or fluttering the fabric as if these yards were rivers of redemption.
Having collaborated with Goldring, also a philosopher and artist, since 2006, Schad is the vehicle through which these huge lengths of material are used to create novel, yet familiar, spatial shapes.
It was Rilke who once said of Rodin that he does not sculpt the body, but the spaces around the body. With this in mind, a kind of phantasmagorical tableau unfolded through space, time and Schad’s tireless presence, one in which concepts and ideas decidedly took flight. This is a brave work that begs to be seen, with Schad baring all, including, one likes to think, a bit of her soul.
Fjord Review
by Victoria Looseleaf, 19.4.2016
”Der Bau”: Interaction of Body and Space.
On the guest performance of DER BAU in Salihara. Jakarta, Indonesia.
The dance performance „Der Bau“ at Komunitas Salihara, which was organized by Goethe-Institut, made the audience frown. Dancer Isabelle Schad from Berlin, Germany, presented a plain body dance, only using four pieces of 10 meters long fabric as additional material. From the movement of her body and the use of the fabric, she created a space that brought together something from the outside and something from within herself, as she described it. The performance started when the lights from the ceiling that were the only accessory on stage began to go up. There was no music, only silence. Under the yellow light, Isabelle leaned forward. Her back began to move, following the rhythm of her heart. The movements became dramatic with an acoustic sound echoing throughout the room. As if her bones were rattling along with the dance moves. Because of the intensity of her movements, there were red spots on Isabelle’s back. The movement of her backbone, hands, stomach, chest shifts towards the next stage as Isabelle begins to take hold of the long fabrics. Her body was lying on top of the fabric. Slowly, Isabelle grabbed the fabric before rolling over to form a fabric ball. With her whole body wrapped in the cloth, she continued to move on stage. Every moving piece of cloth created new spatial forms.
Indeed, the fabric is more than mere material to cover the body. It is a metaphor of the extension of the body’s organs. It can become hormones, body tissue or bones. Simultaneously, the body becomes the material for a living sculpture that dances. The body and the fabrics react to each other naturally and simultaneously. The fabric becomes an inseparable part of the body, as a veil, as well as a couple. The fabric also becomes the final layer of the body as well as the first layer of the wider space.
Body Nests
After the performance, Isabelle addressed the fabrics she used to cover her body and described them as a new way to see someone’s body. “We are not interested in showing sexiness, but want to offer a new perspective on our bodies,” she said on Thursday (28/9) evening. More than just a dancer, Isabelle also acts as choreographer of “Der Bau”, together with French visual artist Laurent Goldring. But for the performances on 29 and 30 September, Isabelle appeared without Laurent. For this dance performance “Der Bau”, they were inspired by Franz Kafka’s novel of the same name. It is an unfinished story that talks about a nest that is formed on one’s body, and remains attached to it by taking on different forms, steps, smell, hope and doubt. Based on this story, Isabelle and Laurent began to explore the relationship between body and space. “At the core of my work is the body and its characteristics as material. As a process and as an experience. The body as place, space and process. The relationship between the body and its representation is like a double membrane,” Isabelle, who began her career as a ballet dancer, explained. For this performance, she collaborated with Emma Juliard who arranged the lighting as well as Peter Bohm as sound designer, composer and sound director. The lighting, for instance, is arranged in a way that neither the body of the dancer nor the fabric cast any shadows. In regards to the acoustic sounds, “you won’t know where the sound is coming from”, Peter comments. The sound is made from different materials. The audience should be able to imagine them when they hear the sound,” said Peter.
Isabelle’s dynamic work is an encounter between dance, performing and fine arts.
Kompas, 01.10.2017, by MAWAR KUSUMA
Der Bau and its Depth.
On the guest performance of DER BAU in Salihara. Jakarta, Indonesia.
Presenting a narrative that revolves around body and space, this work is strong in all aspects, from its foundation to the implementation. In dance, the depth of the idea can be perceived or interpreted further by the audience only through the visual. In this case, the embodiment of ideas into motion is a necessity for the dance.
At the beginning of the performance, Isabelle had already revealed a quick glimpse at her nudity. She didn’t start performing wearing clothes to take them off one by one to reveal her body. From this point on, Isabelle had already taken the spotlight, but then she just „broke“ the audience’s expectation of beautiful movements. Isabelle’s movements are basic yet explorative, like the shoulder movement that begins slowly and statically, until moving with a faster tempo; flicking the fabrics onto her body with various techniques.
Referring to the work, Isabelle’s movements are actually not improvised. They are not „wild“ and free. On the contrary, her work actually showcases a structured choreography. Her movements are varied, yet often repeated in an appropriate quantity to give the impression of depth. Although they are easy on the eye, Isabelle’s movements imply deep technical work. This becomes evident when looking at the color of her arms and back that are reddened, the visible muscles and the sweat.
Meanwhile, the performance structure of Der Bau comprises two different parts, however, they become whole when performed. The first is the phase in which Isabelle explores the space with the extension of her body, the fabrics. The exploration of different fabrics – from color to body response – is done in sequences and gestures that are getting more „agitated“: the exploration of the first cloth happens with a spinning shoulder motion only, whereas the exploration of the last cloth is accompanied by hand movements and jumps.
In the second phase, Isabelle turns the neatly arranged fabrics into the nests as intended by Franz Kafka. In this phase, Isabelle rolls over and into the fabrics with her body. Her naked body is no longer visible, only a pile of differently colored fabrics sitting on one side of the room. Then, Isabelle rolls around arbitrarily. Here, the nest is formed and becomes one with the body.
In addition to its idea, form and structure, Der Bau is strengthened by very good lighting and sound settings. Emma Juliard, responsible for the lighting, used a very unusual setup where the light only comes from a square with a cloth placed on the ceiling of the stage. The dim light sometimes gives a bleak, at other times a profound impression – it is closely connected with the concept of a womb. Meanwhile in sound, Peter Böhm presents a wholesome aural impression. It is as if the sound surrounds the people, which helps to deepen the experience of the dance – although he doesn’t present a series of tones, but rather a series of sounds, like the sound of chalk on a blackboard, the crashing of waves, the echo of iron and so on.
Realizing Space and Body Through Dance
A contemporary dance performance like Der Bau is not intended to highlight visual grandeur with spectacular acrobatic movements, but to present a certain idea through a visual body dance to us.
On this basis, Der Bau has successfully managed to convey this idea. This piece has stimulated the audience and made them aware of several things. First, the body can’t be interpreted from one perspective only. In this case, the naked body can’t be merely seen as something erotic, but instead it has multiple perspectives: anatomically, biologically, historically, socially, culturally and so on. Second, this work has helped to raise awareness on the body through space, and the space is realized through the body. And it all starts from the most personal thing, the womb, until the communal space materializes or becomes tangible.
Based on this, Der Bau endeavors to reflect on the position of the body, space, and life in general to the audience, regardless of their location. This is not hard to fathom, because Der Bau doesn’t refer to a particular culture as its basic movement or even a certain social construct as a goal. Der Bau departs from the problem of the body by using a universal language, namely movements and gestures. It is what has made this piece last for nine years, and makes it still relevant until today.
Komunitas salihara Blog, 10.10.2017, by Michael HB Raditya
Notes on a Bangkok’s long weekend: What could possibly relate to notions of city, choreography and curating?
A quick browse after I returned from my recent trip to Bangkok – the first in eight years – reveals some similarities between the city and my hometown Jakarta. Both capitals, apparently, are a primate city, a categorical descriptor in urban studies referring to the leading city in its country or region which is disproportionately larger than others in the urban hierarchy. Coined by geographer Mark Jefferson in 1939, the term defines the primate city being at least twice as large as the next largest city in the country – and Bangkok is 18 times larger than Thailand’s next big city – and more than twice as significant.
Both Bangkok and Jakarta fit the bill. Up until the late 1990s, the two cities were compared for competing to win the notorious trophy of the worst traffic in the region. However, five years into the new century, just around my first visit to Bangkok in 2005, the city had seemed to pull herself together, successfully running the newly-built subways and commuter train network, leaving Jakarta behind in betterment. Although, both cities were still sharing acute urban problems like flooding and arguably, both being a site of ongoing political tension however different in nature.
Bangkok was built on and around canals. Interestingly, Jakarta’s modernity was instigated by the colonial Dutch through the redesign of the port city of Batavia, with canals resembling those in Amsterdam, thus making the primate city allegory sound. Bangkok is always on the move, growing, expanding; extending and unfolding itself, a space not so dissimilar to an organ, or a body itself. I have embodied the pulsating Jakarta’s daily chaos and perhaps, this has informed me well to traverse Bangkok’s streets – the maze of soi and sol, potholes and the variety of its irregular pedestrian contours.
I was in town only shortly, for a specific purpose. Taking place in a long weekend of 19-22 November, my trip was for watching parts of Unfolding Kafka Festival, focusing on two related solo performances by Berlin-based choreographer Isabelle Schad who collaborates with Laurent Goldring, a Paris-based visual artist. I chose to see the two works, Der Bau (The Burrows) and An Un-folding Process. The first was a full-length solo piece performed at a nice black box theatre in the Drama Department of the Chulalangkorn University, the second a lecture- performance performed at the Burapha University in Chonburi – a beach town just an hour and half outside Bangkok.
The festival’s curator, Jitti Chompee of 18 Monkeys Dance Theatre, designed the festival around the literary work of Franz Kafka. His curatorial approach sounded like an unfolding process in itself, it started with him watching Der Bau in Hamburg last year. Having never heard of Kafka before, he was intrigued by the piece, something he had actually struggled to understand. He approached Schad who then urged him to also meet her collaborator, Goldring; and Chompee followed suit. These encounters and his own effort to access Kafka’s work through a scholar at home led to the Unfolding Kafka Festival.
The festival was smallish and compact. Running across three weeks (12 November to 3 December 2015), it offered the above-mentioned double bill by Schad-Goldring, Silence of the Insects, a new commission of collaborative installation-performance at a commercial hotel (Chompee and scenographer Yoko Seyama), a workshop on Embryology and Eastern Practices by Schad and closed with Cesser d’être (Stop Being), a string sculpture-performance by Laurent Goldring, Chompee himself and Marika Rizzi.
On Body, Spaces and Other Things in Between
Der Bau is based on Franz Kafka’s novella. It narrates a creature which builds a nest that extends from its body, until the nest became part of his body, of himself. On a dim-lit stage, the choreography starts with Schad standing at the upper right corner from the audience’s view, her lithe figure bending over, with eyes staring at her navel. What was facing us – the audience – is her fontanel. Her body radiates a rather strange shape, genderless; its presence underlines her physicality through minimal, economical movement. The lighting remains foggy throughout, but once our eyes get used to it, the stage reveals the muscles of her upper back, positioned upside down. Her hand movements reveal these muscles, protruding slowly and intensely. She negotiates the problem of nudity surprisingly well, cupping her breasts with skin-coloured cloth that leave her back entirely bare without any bra string, leaving the impressive portruding sequence un-spoilt.
From this small but intense opening, Schad shifts smoothly across the stage. From three different points on stage, she picks up a sheet of long fabric, each with slightly different shades and textures. What unfolds is a curious series of imageries, which takes time to register. The axial body and the fabrics gradually create space in between, the relationship between the two shifts and proposes different associations. At first, the body resembles a prosthesis, the fabric like another layer of the skin before the space, turning as if its an organ, blurring the borders between the two. She lets herself become engulfed and thus trans-formed.
In the post-performance talk, Schad explained about the inner-outer spaces she tries to consciously connect in the piece. Audience reception – absorbed, engaged – betraying the slight scepticism of those who think that such piece is not typically Bangkok’s stage fare.
To Chonburi
The next day I travelled to Chonburi where Schad was scheduled to give a workshop to a dozen dance students before performing Un-folding Process, a lecture-performance. The students were young, and terribly open to embracing Schad’s proposal on Embryology and Eastern Practices. It’s more about a phenomenological approach to being in a body and how it relates to other bodies in the space rather than an afternoon learning a new dance technique or choreographic approach. She told me that she wanted to ’warm up’ the theatre, hence she asked the workshop to take place right on the site.
Chonburi is one of the peripheral spots for Bangkokians to go for short holidays. The college is a five-minute drive from the white-sand beach, which is lined with tourist facilities – bungalows, cafes, food stalls and more. The lecture-performance took place in the afternoon, and in the piece, one could trace a brief trajectory of ideas that resulted in the series of works Schad created with Goldring over the years, from Unturtled to Der Bau.
In between reading her notes – whose Thai translation was given away to the audience beforehand – Schad demonstrated excerpts of the choreographic pieces of the series. The lecture-performance was an intimate space, with its simple and almost bare staging. If curating is about criticality, Chompee did his best to simply follow his curiosity line, one after the other, thus connecting different nodes of partners- presenters, e.g. Goethe-Institut, Japan Foundation, the two universities and a commercial hotel. As an independent curator, in a place where curating performance is yet to become a familiar practice let alone a profession, I share Chompee’s excitement of realising what was once a mere flickering idea. With its sprawling urban space, predominately dictated by capitalistic power, mainstream, primate cities like Bangkok and Jakarta are much in need of such organic intervention, of which a space for other narratives to take place can emerge.
Helly Minarti
Der Bau/”On Visibility and Amplifications”, Isabelle Schad & Laurent Goldring
“Dans la nature rien ne se crée, rien ne se perd, tout change.
In nature nothing is created, nothing is lost, everything changes.”
Antoine Lavoisier
Schad erblickt mich,- die Zuschauerin und beginnt mit der Körperarbeit an sich. Schultern, die den Rücken bewegen. Arme, die die Beine schlagen. Dringliche Bewegungen. Ein bewohnter Körper. Ein Körper, der bewegt wird, von Innen und von Aussen, durch Innen nach Aussen.Von Aussen nach Innen.Er scheidet ab und aus, würgt und bricht, möchte herausquetschen und loswerden. Schad arbeitet sich an ihrem Körper ab. Ich werde Zeuge von dem nicht Repräsentierbaren. Ich werde Zeuge von der Präsenz des nackten Körpers in seinem “So-Sein”.
Dann bearbeitet Schad den Stoff. Sie faltet, entfaltet, lässt ihn Wellen schlagen, schlägt ihn, schüttelt und (z)wirbelt ihn. Sie macht sich die Stoffbahnen zu Eigen, bewegt sie, klopft sie, erweicht sie. Die Stoffe verhüllen und enthüllen den nackten Körper. Es scheint als beschäftige Schad sich mit einer Stoffbahn solange, bis sie sich dieser bemächtigt hat und dann erst kann sie von ihr ablassen und sich der Nächsten zuwenden. Es entsteht eine Wechselspannung zwischen dem Körper allein und nackt im BühnenRaum und dem Körper im und am Stoff. Sie arbeitet und kämpft mit dem Stoff, sie liebt den Stoff und stösst ihn ab, aus und um. Dann wieder nehme ich sie in Eintracht mit dem Stoff wahr. Der Stoff dient als Medium um Raum zu generieren. Der Stoff als Befähigung. Der Stoff als Extension des Körpers und auch der Raum als Extension des Körpers. Schad gelangt zum Klimax- mit und durch den Stoff, um dann von ihm abzulassen, sodass die Stoffbahnen ausgebreitet und aufbereitet werden können. Schad legt sich darauf, rollt sich ein– erst nachdem alle fünf Bahnen bearbeitet wurden.
Figuration wird zu Defiguartion, Deformation zu Formation. Prozessualität, Fluidität und Transformation als Bewegungsmotor. Es entsteht ein methamorphes Körperbild-ein unfixierter,kippender und changierender Körper. Der Stoff transportiert die Bewegung in den Raum, die Bewegung wird verräumlicht. Wo ist die Körpergrenze? Wird sie ausser Kraft gesetzt? Materialien, die in ihrer Materialität, in ihrem “So-Sein”in den Vordergrund gerückt werden, den Raum generieren und dadurch verstärkt werden. Der Raum, das KörperMaterial und StoffMaterial sind verschränkt, bedingen sich gegenseitig, generieren sich und sind in ständiger Transformation begriffen. Geburt und Tod. Ein unaufhörliches Gebären und Sterben vollzieht sich vor mir. Die Beziehung in der Körper, Raum und Stoff zueinander stehen, möchte ich als Wechselspannung beschreiben. Durch den Raum und die Bewegungen erlangt der Stoff eine Dreidimensionalität, während der bewegte Stoff den Raum in seiner transistorischen Qualität verstärkt. Die Formen, die beständig zwischen Entstehen und Vergehen oszillieren, entbehren Deutungszuschreibungen.
Ich nehme die Form als nichts beständiges wahr, als unabgeschlossenes und als Etwas das ständig dem Wandel unterworfen ist. Nichts ist fertig, nichts ist Entität und nichts ist abgeschlossen. Schad beschreibt das “Dazwischen” -zwischen Raum, Körper, Stoffhülle und -Stoffenthüllung. Schad bearbeitet nicht nur ihren Körper und den Stoff, sondern auch den Raum und den Umraum, in den sie durch Körper und StoffMaterial eindringt, ihn durchdringt. Sie erschliesst, verschiebt und eröffnet sich den Raum- sie generiert Raum, der auch Körper ist-mit Hilfe des Stoffes, der auch Körper ist.
Parwanhe Frei

Der Bau – Berliner Zeitung:
Der Bau – Die Tänzerin – Und das Gesetz der Falten
von Michaela Schlagenwerth
Presse zur Tanzplattform Deutschland 2014
Der Körper im Bau
Tanzplattform Deutschland: Performance nach Kafka von Isabelle Schad und Laurent Goldring
Etwas von Innen drückt und drängt und kratzt und klopft und schabt mit großer Anstrengung. Man sieht es nicht direkt und dennoch macht es sich sehr deutlich bemerkbar. Die Tänzerin und Choreographin Isabelle Schad steht für die Performance „Der Bau“, frei nach Kafkas unvollendeter Erzählung, nackt auf der Kampnagel-Bühne. Sie hat dem Zuschauer den Rücken zugedreht. Der Kopf ist nach unten gewandt, so dass man ihn nicht sieht, die Beine stehen fest auf der Erde. Ihre Arme bewegen sich in kräftigen Bewegungen langsam auf und ab. Als ob sie versucht, sich aus sich selbst herauszuschälen, zu einem neuen Bild. Man sieht, wie die
Muskeln auf ihrem Rücken arbeiten, wie sich das Fleisch darüber kräuselt und verschiebt. Ein menschlicher Körper wird so zum abstrakten Objekt und wirkt zugleich gefährdet, verletzlich. Sehr unmittelbar im Moment der Wandlung und in seiner Nacktheit. Diese Verletzlichkeit wird im Verlauf des Stückes verhüllt, um sich bald wieder neu den Blicken darzubieten. Schad bezieht große Tücher in verschiedenen Farben in ihre Choreographie mit ein. Der Kampf zwischen alter und neuer Form im sich ständig verändernden Raum spiegelt sich nun auch im Kampf zwischen menschlichem Körper und Materie.
Die Tänzerin versucht vergebens, sich das Tuch anzueignen.
Die Tänzerin ringt mit dem Tuch, freundet sich mit ihm an.
Die Tänzerin beherrscht das Tuch. Es richtet sich zusammen mit ihrem Körper zu einem Turm auf.
Die Tücher verbinden sich und verschlingen die Tänzerin. Sie verknäuelt und verknotet sich immer mehr in den Stoff und kugelt auf dem Bühnenboden umher.
Auch akustisch kann man die Wandlungen des Raumes und des Körpers wahrnehmen. Jede Bewegung ist perfekt auf Geräusche abgestimmt, die Assoziationen hervorrufen, aber schwer greifbar sind. Sie klingen so, als ob sie durch Wände von einem abgeschirmt sind. Wind der um eine Hütte herum heult; Wellen, die man im Bauch eines Schiffes wahrnimmt; ein leises Kratzen an der Tür.
Befindet man sich etwa selbst in dem seltsamen Bau? Oder schaut man doch nur von außen darauf? Auf den Bau, den Körper der Tänzerin, der eine Höhle, eine Trutzburg und ein feindliches Labyrinth zugleich ist?
Die Performance von Isabelle Schad und Laurent Goldring ist irritierend und faszinierend wie Kafkas Erzählung. Es verwundert nicht, dass sie mit weiteren 11 deutschen Produktionen zu den interessantesten Tanzstücken der vergangenen zwei Jahre gekürt wurde. Große Kunst!
Katharina_Kulturredaktion
Gestreckte Beine war gestern
Die Tanzplattform 2014 beweist, dass sich der zeitgenössische Tanz mit Revolten und Sinnlichkeiten auskennt
Von Annette Stiekele, Die Welt
Es gab viel Erhebendes zu sehen, manchmal auch Verstörendes. Die Tanzplattform Deutschland (www.welt.de/themen/deutschland-reisen/) 2014 auf Kampnagel war mit 7000 Besuchern und 37 ausverkauften Vorstellungen an vier Tagen ein großer Erfolg. Wie die Texte im Theater heute häufig aufgebrochen und montiert werden, findet im zeitgenössischen Tanz die Kunst nicht notwendig in synchron bewegten Körpern und akkurat gestreckten Beinen seinen Ausdruck. Vielmehr zeigten sich bei den hier versammelten Vertretern des Konzepttanzes die Brüche zwischen Individuum und Gesellschaft in einer Grenzüberschreitung zu benachbarten Künsten. Gerade darin liegt heute das auch von der Politik erkannte innovative Potenzial des Tanzes.
Er kann ganz zart daherkommen, wie bei der Zusammenarbeit von Isabelle Schad mit dem bildenden Künstler Laurent Goldring, die beide den Körper als Ort, Raum und Prozess begreifen. In “Der Bau”, frei nach Kafkas Erzählfragment, erprobte der auf- und niederwippende Körper der Choreografin sich selbst. Den Torso irritierend gekrümmt, die Beine in der Draufsicht seltsam deformiert, sahen wir Teile im Zusammenspiel. Herz, Lunge, Rippen. In der Bewegung mit verschiedenfarbigen Stoffbahnen entzog sich der Körper dem Blick, wurde selbst zum verhüllten Material.
Der Tanz wirkt dann am stärksten, wenn er durchlässig ist für gesellschaftliche Prozesse, wie bei Meg Stuart, Sebastian Matthias und Antonia Baehr. Zum Reich des Poetischen, Schönen zählte der Beitrag des vor allem in Frankreich (welt.de/themen/frankreich-reisen/) geschätzten Raimund Hoghe mit “Cantatas”. Zu Hollywoodschmonzetten à la Sinatra erzählte der ehemalige Dramaturg von Pina Bausch mit sieben Tänzern von zarten Außenseiterbegegnungen, zeitweise etwas langatmig. Häufig aber auch anrührend, vor allem im Duett von Takashi Ueno und Marion Ballester.
Der Körper allein genügte Laurent Chétouane nie. Er stülpte ihm einen theoretischen Überbau über, bei “15 Variationen über das Offene” ist es das Gedankengebäude des französischen Modephilosophen Jean-Luc Nancy. Chétouane schickte zwei Frauen und zwei Männer in Alltagsklamotten aufs Parkett. Man gruppierte sich in immer neuen Konstellationen, doch es geschah erschreckend wenig. Bewegungen wurden nur flüchtig angerissen. Die Musik war ungleich stärker. Das Kammertrio mit Kompositionen von Nico Muhly und Domenico Gabrielli wurde zum heimlichen Hauptakteur des Abends. Bei Chétouane bedeutet Choreografieren eher gedankliches Forschen, dem leider jede Körperlichkeit und Sinnlichkeit abhanden gekommen ist. Sein Beitrag zählte deswegen zu den wenigen fragwürdigen der Tanzplattform.
Gleiches gilt für Zufit Simons verzichtbare Produktion “I Like To Move It”, in der drei hüftwackelnde Grazien allerlei Unsinn mit drei Lautsprecherboxen anstellten, bis sie röchelten wie verstopfte Staubsauger. Eher misslungen auch der Versuch von Swoosh Lieu, mit “The Factory. Eine Besetzungsprobe” den Kunstaufstand zu proben. Aktivistinnen mit Megafon revoltierten mit Licht und Nebelmaschine gegen die Produktionsbedingungen und forderten “Paläste für alle”. Was mit einem langen Intro vor der Tür der Vorhalle begann, verlor sich drinnen vollends im Nichts.
Mit Revolten kennt er sich dagegen bestens aus: VA Wölfl ist der Schrecken mancher Festivalmacher, eine absolutistisch ihre Umgebung beherrschende Kunstdiva. Das bekamen auch die Besucher der Tanzplattform leidvoll zu spüren: Weil Zufit Simon fast eine halbe Stunde überzog, hieß es bei VA Wölfl und seiner Formation Neuer Tanz “kein Nacheinlass”. Erst bei einer Stückzäsur fanden die Verspäteten doch noch in die Halle.
Dort aber hatte VA Wölfl sich ohnehin entschlossen, seine “Chor(e)ographie/Journalismus: Kurze Stücke”, die zwischen 30 Minuten und drei Stunden dauern, auf nicht mal eine Stunde zu beschränken. Ein Jammer, denn das, was zu sehen war, bewies erneut seine außerordentliche Qualität. Für den Kokoschka-Schüler zählen Literatur, Malerei, Tanz, Musik, Architektur und Kino (Link: http://www.welt.de/kultur/kino/) untrennbar zum Tanz.
Hier nun ließ er eine Tänzerin im Glitzerfummel mit Cowboyhut über weite Strecken alleine in einem gigantischen weißen Kubus stehen. Nur ein paar am Boden ausgebreitete Gewehre leisteten ihr Gesellschaft. Schussgeräusche begleiteten ihre minimalen Verrenkungen, bis sie auf einmal, umgeben von einer gigantischen Projektion auf alle Wände, im Zentrum einer Massenhysterie zu stehen schien und der Zuschauer sich mit ihr in einem südamerikanischen Fußballstadion wähnte. Dann wieder Schnitt. Stille. Gleißendes Licht. Manch einer fühlte sich provoziert, wusste nicht, war das jetzt alles oder kommt da noch was? Ein Cowboy sang auf der Akustikgitarre klampfend von Einsamkeit, bevor die Performer, drei Frauen und sechs Männer, mit E-Gitarren brutale Riffs gegen seine zarte Melodie setzten. Starke, durchaus provokante Bilder zu Individuum und Masse. In der Ästhetik ziemlich 80er-Jahre, drastisch und schön.
Ebenfalls eine gelungene Fusion von Bildender Kunst und Bewegung dokumentierte zum Abschluss Tino Sehgal. Nacheinander stellte er die drei fabelhaften Choreografen und Tänzer Andrew Hardwidge, Frank Willens und Boris Charmatz hüllenlos auf die Bühne, wo sie sich in “(Ohne Titel) (2000)” mit Gesten von Trisha Brown bis Jérôme Bel durch die Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts bewegten. Ein puristischer, minimalistischer Abschluss eines starken Festivaljahrgangs.
Hamburg: Tanzplattform Deutschland 2014
04. März 2014 Autorin: Fiona Trede
Gipfeltreffen auf Kampnagel. Nach vier Festivaltagen, nach 37 restlos ausverkauften Vorstellungen, den Auftritten von 130 Künstlern und einem umfangreichen Rahmenprogramm mit Vorträgen, Installationen und Workshops machte sich am Sonntagnachmittag bei der Tanzplattform Deutschland in der Hamburger Kampnagelfabrik Erschöpfung breit.
Augenringe, müde Gesichter im Foyer. Da holten einige schon mal ihre Taschen aus der Garderobe, Glieder wurden nach dem langen Sitzen gereckt, Füße vertreten und Adressen getauscht. Abreise in viele Richtungen. Und dabei war an diesem Nachmittag doch noch sehr Spannendes zu sehen: ein Solo von Tino Sehgal zum Beispiel. Inzwischen vor allem mit Arbeiten aus dem Bereich der bildenden Kunst vertreten, so bei der documenta und in der Londoner Tate Modern, hat Sehgal, der früher Ensemblemitglied u.a. bei Jérôme Bel und Xavier Le Roy war, das Stück vor über zehn Jahren selbst getanzt. In Hamburg wurde „Ohne Titel“ nun (wie schon 2013 in Berlin) nacheinander von Andrew Hardwidge, Frank Willens und Boris Charmatz interpretiert. Eine subtile Arbeit, deren Struktur sich eigentlich erst in diesem direkten Nebeneinander richtig erschließt. Der nackte Körper wird thematisiert, aber nicht ausgestellt; frei vom Performer zu gestaltene Sequenzen wechseln mit klar choreographierten Abschnitten. Es ist eine Reise durch die Geschichte des Tanzes, komponiert aus zahlreichen Zitaten und Verweisen. Andrew Hardwidges Solo steckt voller Ironie, der Beitrag von Boris Charmatz besticht durch Eleganz und Genauigkeit. Vor allem aber ist es Frank Willens, der begeistert und überzeugt. Grandios, welch beeindruckende Dynamik er seinem Part verleiht. Und auch die leisen, feinen Momente versteht er aufzunehmen.
Die Tanzplattform Deutschland wird seit 1994 als Kooperation von zehn Tanzveranstaltern in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut und dem Internationalen Theaterinstitut organisiert und findet alle zwei Jahre in jeweils einem der Partner-Häuser statt. So groß und so sehr als Publikumsfestival konzipiert wie in diesem Jahr war die Plattform jedoch noch nie. Eine sechsköpfige Jury wählte 12 Produktionen aus, die als herausragende Beispiele für die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland gezeigt wurden. Dabei betonten Sophie Becker, Esther Boldt, Bettina Masuch, Caroline Spellenberg, Melanie Zimmermann und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, dass viele neue Arbeiten ein künstlerisch sehr hohes Niveau erreicht hätten. Die guten Ausbildungsbedingungen seien ein Grund hierfür, der Zusammenschluss und das dichte Netz an Tanz produzierenden Häusern ein weiterer. Und tatsächlich bot das Festival ein spannendes, vielschichtiges Programm. Das künstlerische Niveau indes erwies sich als durchaus schwankend.
Oder muss man in VA Wölfls „Chor(e)ographie/Journalismus: Kurze Stücke“ tatsächlich ein Beispiel für die besondere Qualität des zeitgenössischen Tanzes sehen? Kann man, soll man? Amelie Deuflhard erläuterte vor Beginn der Aufführung, dass die Hamburger Version eine neue Fassung des Stückes sei, weil VA Wölfl und seine Gruppe Neuer Tanz gemeinhin 3 Tage Vorbereitungszeit vor Ort benötigten, hier aber nur 2 Tage zur Verfügung gestanden hätten. Wir bekämen also „short pieces“ der „short pieces“ zu sehen. Und wie sahen diese aus? Frauen und Männer in glänzenden, glitzernden Kleidern und Anzügen. Hochhackige Schuhe und coole Cowboyhüte. Eine grell hell beleuchtete Bühne, auf der sich eine Tänzerin minimalistisch und sehr langsam bewegt. Mal hört man leise aus dem Hintergrund klassische Klänge, dann wieder rauscht das schmerzende Gebrüll von Fußballfans durch den Raum. Die weißen Wände werden zu Projektionsflächen für die verzerrten Aufnahmen von Zuschauermengen, da fühlt man sich manchmal wie in einem 3-D-Film, irgendwie schwummert alles vor den Augen. Später nimmt jeder Tänzer eine Gitarre zur Hand, laut wird es, die Verstärker tun ihr Bestes. Ähnlich wie bei Sehdal, der seinen Performern die Möglichkeit entzieht, den Beifall entgegenzunehmen, fallen im Stück von Neuer Tanz klassische Aufführungskomponenten weg. Aber das ist bei dieser Gruppe ja schon immer so gewesen. Letztlich entscheidet hier jeder Zuschauer selbst, wie lange die Vorstellung für ihn dauert. Geht er beim ersten Öffnen der Türen? Wartet er lieber ab, ob die Tänzer nochmals auftreten? Passiert noch etwas? Dieser Ablauf wiederholt sich mehrfach. Und läuft seltsam ins Leere. Die Geste der Provokation bleibt bloße Attitüde.
Wahrscheinlich haben jene Zuschauer es am besten gemacht, die den Saal mit den „Kurzen Stücken“ als erste verlassen haben.
Denn bei der Tanzplattform musste man sich eigentlich immer beeilen. Der Terminplan war eng und voll gepackt. Manchmal hätte man sich da mehr Gelegenheit zum Reflektieren und Luft holen gewünscht. Oder vielleicht einfach mal für einen Kaffee zwischendurch. Da hieß es dann, sich immer wieder neu einzulassen, aufmerksam zu bleiben. Und natürlich bot es auch eine großartige, ungewohnte Perspektive, wenn man von Isabelle Schads expressionistisch anmutendem Solo zu Kafkas „Der Bau“ weiterrannte zu den barocken Tanzpartituren von Sebastian Matthias’„Danserye“, um danach dann auch noch den opulenten Musikrausch in Meg Stuarts „Built To Last“ bewundern zu dürfen.
Vielfach wurde bei dieser Tanzplattform die nicht ganz neue Frage diskutiert, inwieweit der Sichtungsauftrag der Jury auch Stadt- und Staatstheater einschließen solle. Eine wichtige Frage, ein wichtiges Thema, denn mittlerweile arbeiten viele Künstler der freien Szene zumindest temporär an städtischen Häusern, es gibt zahlreiche Kooperationen. Meg Stuarts „Built To Last“ zum Beispiel entstand in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen, Sebastian Matthias’ „Dansery“ wurde vom Theater Freiburg koproduziert. Doch, wie Jurorin Sophie Becker erklärte, sucht man da noch nach Lösungen. Gilt es, das bisherige Profil gegen diese Entwicklung zu verteidigen? Oder wäre es sinnvoller, wirklich die ganze Bandbreite des Tanzes in Deutschland zu zeigen, der Problematik einer ästhetischen Zersplitterung wohl bewusst? Die Auseinandersetzung um das Format des Festivals wird weitergehen. Nicht erst 2016, wenn die nächste Tanzplattform stattfindet. Im Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main.
Körperformen – Die Tanzplattform Deutschland
3SAT
Abbild des Besten, das die Nation in Sachen Tanz zu bieten hat, will die “Tanzplattform Deutschland” für zeitgenössischen Tanz sein. Alle zwei Jahre tanzen sich die Teilnehmer die Seele aus dem Leib – diesmal auf Kampnagel in Hamburg.
Richard Siegal weiß, was er seinem früheren Chef William Forsythe zu verdanken hat und baut nun choreografisch selbst auf einen unerschöpflichen Forschergeist. “Sieben Jahre an Ausbildung , Koordination und Engagement haben tiefe Eindrücke in meinem Körper hinterlassen”, sagt er. Architekten, Softwareingenieure, Soundtüftler sammelt er in seinem Kreativpool um sich, eröffnet einen Kosmos zwischen Kreatürlichem und Hightech und breitet archaisch wie auch ästhetisch ein Stück Menschheitskultur aus. Der Titel seines Stücks: “Black Swan”.
Schluss mit Opfern
Die Idole des Tanzes sind allseits präsent. Doch wem gehört am Ende der Tanz? Selten den Tänzern, die sich für ihn abgerackert haben, wie Josep Caballero Garcia. Für sein eigenes Sacre-Projekt verwehrten ihm die Pina-Bausch-Erben jeden Schritt, den er einst getanzt hat. Entdeckerfestival will die Tanzplattform ausdrücklich nicht sein, doch der Nachwuchs darf sich präsentieren. Und für den gilt: Schluss mit den Opfern für die Kunst. Wir wollen teilhaben.
“Ich bin sehr an Tanz interessiert”, sagt der Choreograf Sebastian Matthias, “an der Form, an den Möglichkeiten, wie Tanz mit Menschen Räume, Zeiten, Momente entwickeln kann. Ich interessiere mich nicht dafür, jemandem etwas zu sagen. Ich interessiere mich aber, mit Menschen zusammen zu sein.” Sebastian Matthias gilt als choreografischer Hoffnungsträger, die Produktionshäuser reißen sich um ihn. In der Tradition der Tanzfiguren Ronde und Pavane spürt er den zeitgemäßen Groove auf – und das Publikum schwingt innerlich mit.
Beziehung von Raum und Körper
Nostalgie und Zukunftsdenken gehen heute gern Hand in Hand, proben den spielerischen Umgang mit den Mitteln – im Austausch mit dem Publikum. “Diese Art von Komplizenschaft von Produzenten zu Künstlern und zum Publikum, die muss man wieder stärker eingehen”, sagt die Choreografin Isabelle Schad. “Darüber, würde ich mir erhoffen, passiert auch wieder eine andere Art von Auseinandersetzung über das, was auf der Bühne passiert. Und darüber, was ein Publikum sehen will oder was es vielleicht auch erst einmal nicht sehen will, dann aber zu schätzen lernt.” Metaphorisch greift Isabelle Schad die Beziehung von Raum und Körper auf. Tanz wird zur lebenden Skulptur.
“Die Förderung des Bundes für die innovative und international ausstrahlende Kunstform Tanz soll im Dialog mit den Ländern fortgesetzt und im Rahmen eines zeitgemäßen, nachhaltig wirkenden Föderprogramms weiterentwickelt werden”, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich der Eröffnung der Tanzplattform Deutschland. Das lässt hoffen. Die Stärkung der zukünftigen Generation von Choreografen sollte ganz oben auf der Agenda der Kulturpolitiker stehen. Innovation ist nicht nur Sache der Künstler, sondern auch von Produzenten und Tanzhäusern.
Presse zur Premiere in Valenciennes, France:
Laurent Goldring – Medien- und bildender Künstler, bevorzugtes Material: der lebende Körper – wohnt in der Nähe des Pariser Marché Saint-Pierre, eines Kaufhauses für Stoffe aller Art und Preisklassen. Von dort brachte er für die Tänzerin Isabelle Schad einen gefühlten Quadratkilometer Tuch mit, um es in eine Art Behausung zu verwandeln. So setzen sich beide mit Franz Kafkas Erzählung «Der Bau» auseinander: der Geschichte eines Tiers, das sich in ein abgeschottetes Labyrinth zurückgezogen hat und zusehends von Verfolgungsängsten geplagt wird, obwohl nie ein Feind auftaucht.
Isabelle Schad kommt splitternackt auf die Bühne des Espace Pasolini in Valenciennes, beugt den Oberkörper nach vorn und legt die Hände auf die Knie. Ihre Ellbogen vollführen beklemmende, kreisende Bewegungen, während die Finger an den Beinen herabfahren. Das wirkt fast zwitterhaft, nicht mehr ganz menschlich und noch nicht wirklich animalisch. Wie die Ich-Figur bei Kafka.
Schads Nacktheit empfindet man binnen Kurzem als Normalzustand eines Körpers, über den sich die zweite, umfassende Nacktheit des völlig leeren Raums legt wie die beunruhigende Wärme einer Isolationshaft-Zelle. Nur eine entfernte, verstörende Hoffnung auf Geborgenheit schwingt mit.
So kommt das Versprechen der Bekleidung ins Spiel. Nacheinander zieht Schad aus den Ecken bis dato verborgene Stoffbahnen hervor. Von ihren Armen geführt, erhebt sich das Tuch in die Lüfte, wirbelt und verhüllt, zieht über Schad hinweg, beschützt und bedroht sie zugleich – wie jene Geister, die, einmal gerufen, nie wieder weichen wollen. Meterware und Körper vereinen sich zu einer Skulptur, die von dem Drang getrieben scheint, das eigentlich Begehrte, die Verhüllung, immer wieder abzuschütteln.
Schwarz, grau oder sandfarben sind die Tücher, die gerafft mysteriöse Rosetten ergeben, sich zu gewaltigen Schleppen dehnen oder eng an den Körper schmiegen. Die Bilder sind für alle Interpretationen offen, auch wenn das textile Gefängnis namens Burka besonders beeindruckt: jener den Frauen zugewiesene Lebensraum, den Schad majestätisch aufrichtet, bis er seiner Farbgebung nach das Bild und Trugbild der Wüste wiederzugeben scheint. „Auch der Raum ist ein Organ, eine Verlängerung des Körpers“ glauben Schad und Goldring. Goldring lebt in einem Pariser Viertel mit so hoher Bevölkerungsdichte, dass es kaum möglich ist, der rigorosen Selbstbehauptung fremder Menschen zu entkommen. Auch akustisch nicht. Der Sounddesigner Peter Böhm lockt Schad in eine regelrechte Tonfalle. Bewegt sie sich, entstehen Klänge, die mal an das schon in Kafkas Vorlage auftauchende Zischen erinnern, dann wieder die sonnig-freundliche Natur irgendwo draußen beschwören. Derweil wird Schad von den Stoffmassen förmlich eingebunkert. „Der Bau“ bietet seiner Bewohnerin eben nicht nur Schutz, sondern er nimmt sie zugleich gefangen – wie bei Kafka.
Thomas Hahn in: Tanz, Januar 2013
Presse Berlin:
Karte der Intensitäten
’(…) Für „Der Bau“ bleiben von Pullis und Hosen nun nur noch Stoffbahnen um den nackten Leib herum übrig. Sie werden von Isabelle Schad ritualhaft rhythmisiert, übergeworfen, gefaltet und geknäuelt, bis die Tänzerin schließlich – nach ausdruckstanzartigen Szenen – ganz in einem Labyrinth der Stoffbahnen verschwindet wie das dachsartige Kafka-Ich in seinem Bau. In der unvollendeten Erzählung aus Kafkas letztem Lebensjahr werden, wie in seinen Tiererzählungen üblich, die unbewussten, organischen Körperfunktionen einem bewussten Ich überantwortet und dadurch zur manischen Aufgabe in einem klaustrophobischen Innenraum. „Das Tier-Werden ist eine bewegungslose Wanderung auf der Stelle, die sich nur in Intensität erleben und begreifen lässt. (…) Es ist eine Karte der Intensitäten.“, schreiben Deleuze-Guattari über Kafkas Erzählungen. Dieser Aspekt könnte der körperlichen Ausdauer und Präzision von Schads Materialanverwandlungen Pate stehen. (…)’
Astrid Kaminski
Tanz und Tuch: Die Performance “Der Bau” wurde inszeniert von der Choreografin Isabelle Schad und dem bildenden Künstler Laurent Goldring.
Susanne Foellmer ist Juniorprofessorin am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität und Initiatorin des Symposiums in den Weddinger Uferstudios.
Zum Tanz mit Kafka
Symposium am 3. Februar im Wedding / Studierende der Tanzwissenschaft der Freien Universität erörtern eine Inszenierung von Kafkas Erzählung „Der Bau“
30.01.2013
Kafkaeske Szenen spielen sich ab in den Weddinger Uferstudios für
zeitgenössischen Tanz: Große Stoffbahnen bewegen sich auf der
Bühne, zerknüllen sich oder breiten sich aus. Die Tänzerin ist in diese
Tücher gehüllt und für den Zuschauer kaum zu sehen. Was es mit
dieser Performance – inspiriert von Franz Kafkas unvollendeter
Erzählung „Der Bau“ – auf sich hat, erfahren Besucher eines
öffentlichen Kurz-Symposiums am 3. Februar: Studentinnen des
Masterstudiengangs Tanzwissenschaft der Freien Universität
präsentieren ihre Beobachtungen und Interpretationen zur Produktion
von Isabelle Schad und Laurent Goldring. Campus.leben sprach mit
der Initiatorin des Kurz-Symposiums, Juniorprofessorin Susanne
Foellmer.
Frau Foellmer, wie ist die Idee entstanden, ein Kurz-Symposium mitStudierenden zu veranstalten?
Im Gegensatz zu anderen Projekten des Instituts ist die Veranstaltung nicht aus einem Seminar heraus entstanden. Die beteiligten Studentinnen belegen alle den Masterstudiengang Tanzwissenschaft und haben im Kontext meines Seminars zu ästhetischen Theorien des Körpers Hausarbeiten geschrieben. Jede von ihnen hat ein spezifisches, anspruchsvolles Forschungsinteresse. Durch den Kontakt zu Isabelle
Schad, der Choreografin des Stücks „Der Bau“, kam der Gedanke auf, die Inszenierung aus bestimmten Blickwinkeln der Forschung zu betrachten und damit im Rahmen eines Symposiums an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich hatte auch schon bei Auslandsaufenthalten in Brasilien miterlebt, dass bei wissenschaftlichen Konferenzen immer auch Foren für Studierende stattfinden. Dabei können sie ihre Interessen zeigen und das Präsentieren üben.
Inwiefern werden sich die Vorträge von normalen Referaten unterscheiden?
Die Vorträge sind teils essayistisch angelegt und basieren auf der eigenen Seherfahrung der Studierenden. Das Symposium richtet sich damit auch an Laien und nicht ausschließlich an ein Fachpublikum – im Prinzip reicht eine gewisse Neugier für die Tanzwissenschaft aus, wenn man die Veranstaltung besuchen möchte. Die Studentinnen haben ihre Vorträge außerdem freiwillig erarbeitet, sie erhalten dafür keine
Leistungspunkte. Meiner Meinung nach ist es eine wichtige Erfahrung, Anwendungsmöglichkeiten des Studiums kennenzulernen – auch um auszuprobieren, inwieweit eine wissenschaftliche Karriere reizvoll sein kann.
Kann man das Symposium auch besuchen, ohne die Inszenierung gesehen zu haben?
Aus meiner Sicht ergibt es Sinn, das Stück vorher zu besuchen. Die Studierenden waren bei einer Probe dabei und beziehen sich in ihren Vorträgen auf die spezielle Inszenierung von Isabelle Schad und Laurent Goldring. Schad ist Choreografin, Goldring bildender Künstler: Durch die Zusammenarbeit verschränken sich ihre Disziplinen gewissermaßen. Inwiefern sich diese Inszenierung aufgrund dieser besonderen Konstellation von anderen Performances unterscheidet, wird auch Teil der Vorträge sein.
Welche Themen behandeln die Studentinnen außerdem?
Schon allein durch die Kombination von Choreografie und bildender Kunst drängen sich bestimmte Ausgangsthemen auf – beispielsweise, wie Schad und Goldring mit dem Raum arbeiten und wie sie bildliche Aspekte umsetzen. Die Studentin Charlotte Riggert setzt sich unter dem Gesichtspunkt des Unheimlichen damit auseinander, wie die Körper der Tänzer durch die Stoffbahnen verformt werden, sodass die menschlichen Züge verschwimmen. Mit der Frage des Raumes beschäftigt sich Ronja Ruppert, sie wird auch auf inhaltliche Bezüge zu Kafkas unvollendeter Erzählung eingehen. Katharina Schmidt hat herausgearbeitet, welche Rolle das Material des Stoffes in der Inszenierung spielt und Christina Amrhein beleuchtet den Aspekt der Bildlichkeit.
Zitty Berlin
Isabelle Schad
Laurent Goldring
Der Bau
TANZPREMIERE – Mit Spannung wird die neue Arbeit von Isabelle Schad und Laurent Goldring erwartet. Seit längerer Zeit schon beschäftigt sich die Choreografin mit Häutungen und Verhüllungen sowie Rekonfigurationen des Körpers. Kafkas unvollendete Erzählung über ein festungsbauendes Tier
ist dafür eine kongeniale literarische Vorlage. Ein ambitioniertes Vorhaben, das Schad & Goldring bei Gelingen auf eine neue Umlaufbahn katapultieren sollte.
Inhaltsangabe
In Kafkas unvollendeter Erzählung wird ein Tierbau beschrieben, der aus dem Körper selbst heraus geschaffen ist und immer noch zu ihm gehört. Sie dient als titelgebende Metapher und Ausgangsbasis für die weitere Erforschung der besonderen Beziehung zwischen Körper und Raum.
Uferstudios
Wedding
Fr, 01.02.13 19:30
Wiederaufnahme in Berlin
Zitty Berlin / Tagesspiegel Berlin
RAUMTANZ – Isabelle Schad holt wieder ihre formidable Adaption von Franz Kafkas “Der Bau” hervor um ein Wesen, das sich schutzsuchend in die Erde eingräbt. Schads Material sind aber nicht Erdschichten, sondern Stoffbahnen. Aus denen formt sie den Raum, der einer Hülle gleich das Wesen umgibt. “Der Bau” wird so zum metaphorischen Gerüst für Schads seit Jahren schon betriebene Hüllenerforschungsexperimente. Auf alle Fälle ist große Konsequenz zu erkennen.
23.08.13 17:00
Presse für Stuttgart TanzLOKAL -ein Tanzfonds-Erbe Projekt:
(OP)POITIONEN ZU O.S. – 1. Der Bau – Installation, 2. Form und Masse
Stuttgarter Nachrichten, 05.09.13
Hartmut Regitz
Am Anfang der Geschichte steht ein Ich. Welcher Natur das Wesen allerdings ist, das sich in seiner nachgelassenen, unvollendeten Erzählung in die Erde gräbt, das lässt Kafka offen. Es könnte ein Dachs sein, vielleicht auch ein Mensch, der sich eingebunkert hat; vielerlei Deutungen sind möglich.
Isabelle Schad begreift den „Bau“ allgemein als einen Körper, den das Tier aus sich heraus schafft und deshalb ein Teil seiner selbst ist – „seine Formen, Spuren, Geräusche, Ausscheidungen und Reserven, Hoffnungen und Verzweiflungen in sich tragend“, wie es im Programm heißt. Folgerichtig liefert sich die Tänzerin dem schwarz ausgehängten Raum schutzlos aus, bevor sie ihn auf ganz eigene Weise füllt – und vornüber gebeugt vergewissert sich Schad erst einmal eines Körpers, der nichts anderes ist als verbindendes Material. Langsam gleiten die Hände hinunter auf die Kniescheiben, während sich gleichzeitig ihre Schulterflügel zu weiten scheinen, und wie von selbst vollzieht sich von unseren Augen eine Wandlung, die schon etwas Unheimliches hat. Der Raum, sagt die Choreografin, ist ein Organ und als Ausdehnung des Körpers zu begreifen.
Entsprechend, könnte man sagen, funktioniert der Stoff, der das Innen vom Außen trennt: Laurent Goldring hat ihn beigesteuert, ein französischer Philosoph und bildender Künstler, und das in unterschiedlichen Farbgebungen und Größen. Isabelle Schad greift nach ihm, schlägt Wellenbahnen oder plustert ihn auf wie einen prallen Sack. Immer wieder symmetrisch angeordnet, wirkt das schon mal wie eine Reminiszenz an Vorstellungen von Jugendstil. Zum Kopfputz verknäult, macht die Aufführung aber auch Erscheinungsformen der Gegenwart anschaulich. Von ihrer Eigenart einmal ganz zu schweigen, die dem Zuschauer eine neue Offenheit abverlangt. Gelegentlich droht allerdings das Menschliche ganz unter den Stoffmassen zu verschwinden, und mehr als einmal denkt man, dass ein Stück wie „Der Bau“ deshalb im Kontext eines Museums oder einer Galerie besser aufgehoben wäre als in einem Theaterraum wie in den Berliner Uferstudios.
Das wird von diesem Freitag an bis einschließlich diesen Sonntag auch geschehen, wenn „Der Bau“ im Rahmen des Stuttgarter Festivals Tanzlokal im Württembergischen Kunstverein (Kunstgebäude am Schlossplatz) zu sehen ist. In einer „installativen Version“, wie Isabelle Schad präzisiert, der Raumsituation ebenso Rechnung tragend wie
die Aufführung von „Form und Masse“ von Sonja Pregard im selben Programm: eine Vorstellung, die nicht zuletzt für Schad deshalb ein Ereignis ist, weil sie damit ihr Comeback auf heimischem Boden erlebt.
Vor Jahren unter Heinz Clauss an der John-Cranko-Schule ausgebildet, hat sich die Stuttgarterin nach Engagements unter anderen bei Hermann Rudolph in Chemnitz und Wim Vandekeybus in Brüssel auf eigene Füße gestellt und sich im lauf der Zeit nicht zuletzt auch ästhetisch von der Stuttgarter Ballettkultur weit entfernt. Es gilt also, etwas genauer hinzuschauen – und bei der Gelegenheit vielleicht den eigenen Um-Raum etwas bewusster zu erfahren.
Viel Stoff
Drei Tage verwandelt sich Stuttgarts Zentrum in ein „Tanzlokal“
Veröffentlicht am 11.09.2013, Autor Leonore Welzin
(…) Ganz nackt beginnt Isabelle Schad ihr Solo „(OP)POSITIONEN zu O.S.“. Im großen Ausstellungsraum des Württembergischen Kunstvereins liegt die Choreografin bäuchlings auf langen Stoffbahnen ausgestreckt. Sie sind nicht farbig wie die Schlemmer-Kostüme, sondern schwarz, braun und grau. Durch Schieben, Rutschen und Rollen verwickelt sie sich immer mehr mit dem Material auf dem Boden. Ein amorphes Gebilde, ein undefinierbares Objekt. Langsam befreit sich das Subjekt aus den Fängen des Materials. Indem der Stoff geschlagen, geschüttelt und geschwenkt wird, verwandelt er sich für kurze Momente in fantastische Skulpturen. Eine faszinierende Metapher für die Bewältigung von viel Stoff – und den bietet das Tanz-Erbe in rauen Mengen. Also raus und angepackt!