Mit zwei T-Shirts lässt sie afrikanische, spanische und mystische Kulturelemente aufleuchten, vermittelt mit Turban den Habitus anderer Völker, verwandelt sich in Torero und Stier, vergrößert sich zum Riesen, zu flatternden Phantasiewesen und demonstriert gleichzeitig die euphorisierend fröhliche Wirkung des Tanzens.
Nicht Ekstase ist das Ziel der hoch konzentrierten Selbstverschraubung, sondern die meditative Ausstülpung von Bewegungsenergien, die dem Sog des erzeugten Strudels standhalten. Eine beglückende Doppelmeditation, die die Welt auf jeden Fall besser macht.
Not ecstasy is the object of the highly concentrated Whirling of the Self, but the meditative protuberance of movement energies that sustain the pull of the generated vortex. A delightful double meditation, which definitely makes the world become a better one.
(Astrid Kaminski)
Zwischen Drehwurm und Doppeltsehen
Isabelle Schad feiert mit „Double Portrait“ und „Turning Solo“ Premiere im HAU 3 in Berlin
Tanznetz, 17.12.2017, von Maria Katharina Schmidt
Berlin – Naïma Ferré dreht sich so lange um die eigene Achse, bis schließlich Wind über die Bühne fegt. Zumindest scheint es so – bläht sich ihre Kleidung doch zusehends mit Luft auf. Die Performerin und Ko-Choreografin von „Turning Solo“ bewegt sich zu Beginn des Stücks in einem schmalen, gedimmten Lichtkegel, der zugleich die restliche Bühne in noch tieferes Schwarz taucht. Kontinuierlich fließend, jedoch extrem langsam wandern Naïma Ferrés Hände um ihren Kopf. Sie erkundet tastend Gesicht, Ohren, Schläfen und die Haare am Hinterkopf um erneut Gesicht, Ohren, Schläfen und die Haare am Hinterkopf zu ertasten.
Derweil dreht sich ihr Körper ebenso kontinuierlich um die eigene Achse. Sie wird die nächsten 30 Minuten nicht aufhören, sich im Kreis zu drehen, während die lebendige Skulptur, die Naïma Ferré alsbald über ihre Bewegungen auf der Bühne entwirft, immer neue Pfade begeht. So weicht die Haptik der Atmosphäre, die sich in diesen ersten Minuten über das Ertasten des Kopfes und den kratzenden Sound aus den Lautsprechern einstellt, schnell raumgreifenderen Drehungen. Über die Zeit etabliert sich dabei im eigenen Zuschauen ein Rhythmus, in dem das Publikum den Drehbewegungen der Bühne tatsächlich kopfkreisend folgt und am Ende mit einem leichten Drehwurm aus dem Abend entlassen wird.
In „Double Portrait“, das Eröffnungsstück des Abends, arbeitet die Berliner Choreografin ebenfalls mit einem Kontinuum an sich wiederholenden und dabei fließend verschiebenden Bewegungssequenzen. Przemek Kaminski und Nir Vidan, die beiden Performer und zugleich Ko-Choreografen von „Double Portrait“, entwerfen in ihrem ‚Duett’ – entgegen Naïma Ferrés skulpturaler Qualität – vielmehr eine bewegte Bildfläche, die paradoxerweise auch in der Tiefe des Bühnenraums Bild bleibt. Dieses Portrait der entstehenden Vexierbilder, Zwillingsgestalten und vielfachen Spiegelungen zwischen den Körperbewegungen von Przemek Kaminski und Nir Vidan zeichnet zugleich ihr je individuelles Portrait als Performer nach. Lediglich in den Momenten, in denen aus den Beinen Hände wachsen und kein Anfang des einen, noch Ende des anderen Körpers mehr zu finden ist, lediglich dann verschwimmt der einzelne Körper vom Nebeneinander in ein Miteinander verknoteter Gliedmaßen.
Die Soundcollage des Komponisten Damir Šimunovi irritiert schließlich den über die stetige Wiederholung der Bewegungen induzierten Sog der Aufmerksamkeit und legt eine zweite Ebene über die Gegenwart der Bühne. Stimmengemurmel, Straßengeräusche, ein anfahrendes Moped und unter allem ein treibender Rhythmus spalten auditive und visuelle Aufmerksamkeit und eröffnen kurioserweise einen zweiten Raum jenseits der Bühne.
Sei es der in „Turning Solo“ bewegungsinduzierte Drehwurm am Ende des Stücks oder die offengehaltene Irritation über das Auseinanderdriften von Sound und Bewegungsbild der Bühne in „Double Portrait“ – dieser Abend wirft das Publikum in vielfältiger Weise zurück auf seine eigene Wahrnehmung. Beide Stücke sprechen mit ihrer minimalistischen und fokussierten Körperarbeit unser Vermögen an, im Zuschauen den Bewegungen anderer am eigenen Körper nachzuspüren. Oder aber es war der knurrende Magen, der den eigenen Körper während des Abends in diese Sphären hat abdriften lassen, stellt einer der Zuschauer am Ende augenzwinkernd und begeistert fest.
Mit „Turning Solo“ und „Double Portrait“ setzt Isabelle Schad ihre Portrait-Reihe fort, die 2015 mit „Fugen“ begann und dem 2016 die Produktion „Solo für Lea“ folgte.