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On Visibility and Amplifications

Isabelle Schad and Laurent Goldring, familiar in Berlin and known internationally, have developed an important body of work over the past seven years around the notion of “amplification”. The specific dialogue between a movement practice and a filming process is the core of their collaborative work. They have chosen to show six pieces out of the nine they did together. “Amplifiers” are devices meant to make visible the very peculiar physicality of non-representational movements through stage settings, such as a large costume, a fabric landscape or a group of performers.
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In 2012 they created “Der Bau,” for which Kafka’s novella by the same name was the inspiration source. It becomes the basis for their explorations to conceive a new relationship between body and space. Starting from the description of an animal’s burrow as a metaphor for the body, they have been investigating the space of the stage.

This process was the continuation of Unturtled, a series of four pieces, from which they will present “Unturtled#1” (2008) and “Unturtled#4” (2011). In Unturtled(s) the costume is considered as a transitional object, the last layer of the body and the first encompassing space. During the creation process it became clear that space itself can be seen as an organ. Rilke’s statement that Rodin does not sculpt the body, but the spaces around them, can help us understand this idea. During their duo Unturtled#4 (Berlin Premiere) L. Goldring performs a talk on the conceptual resonances of the work.

The group piece “Collective Jumps” addresses the topics of collectivity and resistance, investigating the possible relationships between freedom and form with a group of 16 dancers. Can the creation of an infinite, unified, monstrous body possibly become a site of resistance ? Collective Jumps will be seen as stage piece and in the setting of an installation, which will be presented for the first time.

In the piece “An Unfolding Process” (2014) Isabelle Schad shares and shows different excerpts of pieces from Unturtled to Der Bau, trying to reveal some of the process around the series of pieces created together with L. Goldring. The solo was developed and first presented in/for the frame of the Live Legacy Project : Correspondences between German contemporary dance and the Judson Dance Theatre Movement and will also be seen for the first time in Berlin.

Susanne Foellmer will honour the body of work with an overall presentation, and an exhibition of body loops by Laurent Goldring will run throughout the events.

6.5.2015
19:00+21:30 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Collective Jumps (Installation)

20:30 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Der Bau
Introduction / by Susanne Foellmer / German

7.5.2015
19:00+21:00 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Collective Jumps (Installation)

20:00 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Der Bau

9.5.2015
19:00 / HAU3
Isabelle Schad
An Un-Folding Process

20:30 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Collective Jumps
public discussion / Moderation: Susanne Foellmer

10.5.2015
19:00 / HAU3
Isabelle Schad
An Un-Folding Process

20:30 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Collective Jumps

12/13.5.2015
20:00 / HAU3
Isabelle Schad & Laurent Goldring
Unturtled #1 & #4

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All images by Laurent Goldring, all rights reserved






2015 Werkschau / Retrospective at HAU – On Visibility and Amplifications

Die Choreografin Isabelle Schad und der Bildende Künstler Laurent Goldring haben sich im Laufe ihrer siebenjährigen Zusammenarbeit sowohl in Berlin als auch international einen Namen gemacht. Der spezifische Dialog zwischen einer Bewegungspraxis und einem filmischen Prozess ist der Kern ihrer Zusammenarbeit. Gemeinsam entwickelten sie das Konzept des “Verstärkers”, der nicht-repräsentative Bewegungen sichtbar machen soll. Der Verstärker zeigt sich als überdimensionales Kostüm, als Stofflandschaft und als Gruppe von Performern. Im Rahmen ihrer Werkschau bringen Schad und Goldring fünf gemeinsam produzierte Arbeiten auf die Bühne:

Die im Jahr 2012 entstandene Arbeit Der Bau ist von Franz Kafkas gleichnamiger Erzählung inspiriert. Sie dient als Metapher und Aus­gangs­basis für die Erforschung der besonderen Beziehung zwischen Körper und Raum.

In der vierteiligen Serie Unturtled, an welche “Der Bau” anknüpft, wird das Kostüm zum Übergangsobjekt. Es ist gleichzeitig äußerste Schicht des Körpers und erste Schicht des ihn umgebenden Raumes. Schad und Goldring betrachten das Kostüm als Organ. Im Rahmen der Werkschau präsentieren sie “Unturtled #1” (2008) und “Unturtled #4” (2011). Letzteres ist zum ersten Mal in Berlin zu sehen.

In Collective Jumps (2014) geht eine Gruppe von 16 Tänzern den möglichen Beziehungen von Freiheit und Form nach. Kann der Entwurf eines unendlichen, vereinten, monströsen Körpers ein Ort des kulturellen Widerstands sein? “Collective Jumps” wird in zwei Versionen präsentiert, als Bühnenstück und erstmals auch als Installation.

In der Lecture Performance An Un-Folding Process teilt und zeigt Isabelle Schad Auszüge aus den verschiedenen Stücken der Werkschau. Sie gibt überraschende und humorvolle Einblicke in die Kreationsprozesse mit Laurent Goldring. Das Solo entstand im Rahmen des Live Legacy Project: Correspondences between German contemporary dance and the Judson Dance Theatre Movement, wo Schad es erstmals aufführte, und erlebt nun seine Berlin-Premiere.

Susanne Foellmer stellt die Werke der beiden Künstler vor, und die Vorführungen werden begleitet von einer Ausstellung von Goldrings Videoloops der “Körperporträts”.
Die Werkschau wird gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds und durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten.

 

SPIELZEIT 05.15, S. 17 / DER TAGESSPIEGEL DIE MONATSBEILAGE FÜR THEATER, MUSIK & TANZ

Verhüllen und Entfalten

HAU3 – Die Arbeiten der Choreografin Isabelle Schad und des Künstlers Laurent Goldring sind in einer Werkschau zu sehen

Wer das verwilderte Gelände der Wiesenburg betritt, fühlt sich wie an einem verwunschenen Ort. Am Schornstein vorbei, dann noch einen Bienenstock passieren – schon steht man vor dem Studio von Isabelle Schad. Im ehemaligen Obdachlosen-Asyl in Wedding, das heute unter Denkmalschutz steht, hat sie zusammen mit Freunden eine marode Halle renoviert, die jetzt ihr Produktionsort ist. „Es ist ein kleines Paradies“, schwärmt Schad.
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In der Halle sind auch einige der Tanzstücke entstanden, die sie gemeinsam mit Laurent Goldring kreiert hat. Seit sieben Jahren arbeiten die deutsche Choreografin und der französische Künstler nun schon zusammen. Das Hebbel am Ufer widmet den beiden nun eine Werkschau: Zu sehen sind die Soli „Der Bau“ (2012), „Unturtled #1 (2008) und #4 (2011)“ sowie das Gruppenstück “Collective Jumps” (2014). Außerdem wird Schad in der Lecture Performance „An Un-Folding Process“ Einblicke in den Arbeitsprozess geben.

Isabelle Schad, die zunächst klassischen Tanz studiert hat, arbeitet seit 1999 als freischaffende Choreografin. Damals hat sie sich erst einmal auf die Suche gemacht, erzählt sie, angetrieben von einem Gefühl des Mangels. Das betraf zum einen das philosophische Rüstzeug, ihr schwebte aber auch ein andere Form der Praxis vor. Unbeirrt ist sie ihren Weg gegangen. „Im Zentrum meiner Arbeit steht der Körper in seiner Materialität, seiner Prozesshaftigkeit und Erfahrbarkeit“, so fasst sie ihren Ansatz zusammen. Ihr ganzheitliches Verständnis des Körpers speist sich aus unterschiedlichen Einflüssen: Wichtige Impulse verdankt sie der Praxis des Body-Mind-Centering und auch asiatischen Techniken wie Aikido, Qi-Gong und Shiatsu. Seit einer Weile schon geht sie jeden Morgen in einen Dojo, um zu trainieren.

In ihren Stücken schafft sie es, die Lebendigkeit des Körpers mit einem strengen Formdenken zu vereinen. „Da bin ich in die Schule von Laurent gegangen“, sagt sie lächelnd. „Die Zusammenarbeit mit ihm ist für mich ein Meilenstein in meiner Geschichte.“ Schon einige Choreografen sind in das Pariser Atelier von Laurent Goldring gepilgert. Die Arbeit mit dem Künstler und Philosophen verheißt eine grundlegend neue Sichtweise. „Die Sessions mit Laurent sind Gold wert“, unterstreicht Schad. „Seine Praxis des Sehens ist so stark.“ Die Zusammenarbeit mit einem bildenden Künstler hätte natürlich neue formale Zwänge mit sich bringen können. „Es gab viel Diskussion und Konfrontation – aber immer im positiven Sinne“, stellt Schad fest und beschreibt, wie das Wechselspiel abläuft. Die Aktionen der Tänzerin nimmt Goldring mit der Kamera auf. Während er sich das Bild auf dem Monitor anschaut, gibt er Anweisungen, z.B. die Beziehung Knie und Ellbogen betreffend. Er stellt sich vor, wo das Bild hingehen könnte – „was aber nicht unbedingt anatomisch realisierbar ist“, sagt Schad und lächelt.

Der Dialog mit Goldring hat für sie mit Übersetzung zu tun, sagt sie. Denn sie ersinnt für seine Vorschläge einen körperlichen Vorgang, den es auszufüllen gilt. Es geht ja nicht nur darum, etwa die Relation von Knie und Ellbogen zu variieren, um Verschiebungen und Verrückungen. Sondern darum, dass etwas zum Vorschein kommt, eine „Wahrheit“ aufscheint. Gemeinsam analysieren die beiden die Bilder. Oft arbeitet sie dann allein weiter mit den Inputs. Dabei ist sie ausgebrochen aus dem eng abgesteckten Raum und brachte eine explosive Energie ins Spiel. „Das war für ihn eine Herausforderung. Er wollte anfangs nicht, dass ich durch den Raum gehe“, berichtet Schad.
Zusammen tüftelten die beiden an neuen Strategien des Sichtbarmachens. „Er sagte: Okay, du arbeitest mit Körpersystemen und Zellen aber man sieht das nicht von außen. Da brauchen wir einen Verstärker“, erzählt Schad. Das können die langen Stoffbahnen des Kostüms sein wie in „Der Bau“, wo das extra-große Kostüm nicht etwas versteckt, sondern wie eine Erweiterung der Tänzerin aussieht. kann auch die Gruppe sein wie in „Collective Jumps“, wo die Glieder der 16 Tänzer sich zu faszinierenden Mustern verketten. Der Einzelne wird absorbiert von einem kollektiven Körper, der sich in ständiger Wandlung befindet.

„Wir haben etwas ganz Eigenes miteinander gefunden“, sagt die Choreografin über die Zusammenarbeit mit Goldring. Die Retrospektive zeichnet nun die Entwicklung nach. „Das ist das Schöne an der Werkschau: Die Arbeiten sind alle miteinander verknüpft“, so Isabelle Schad. „Ich bereite nicht verschiedene Stücke vor – ich bereite mich vor für die Bewegung.“

SANDRA LUZINA


Unturtled #1

14. Mai 2015

Der Blick.
Du kommst. Du lässt dich anschauen, stellst dich aus, alleine in der Weite. Du präsentierst dein Material, dein Spiel, bist die*der Puppenspieler*in deines Körpers. Zwischen Sein und Haben. Ich darf dich anschauen, nicht mehr, dennoch, wo ich will, so lange ich will. Ein Privileg. Wir überschreiten den Punkt an dem es komisch wird, an dem ich sonst wegsehe, in der U-bahn, auf der Straße. Beschämt, ertappt bin. Es aber auch nicht intim wird, so lange schauen, dass der Kuss obligatorisch ist. Ich möchte in dich rein tauchen. Doch wohin – dein Körper ist da, aber du bist wo anders. Dein Blick ist glasig, innen. Du forderst nichts, nichts zurück, mich nicht heraus, ich kann rein, kann ich? Wohin komme ich, wie tief, leer ist es, finde nichts, kann an nichts festhalten. Du teilst nichts. Ich tauche durch dich hindurch. Flutsche durch. Ich komme in deinen Körper aber nicht in dich. Doch immer wieder deine Haut erinnert mich – du Mensch! Du bist! Brüste, Rücken, Arme. Da schaust du. Schaust mich an. Wach, nach außen. Herausfordernd, deine Augen strahlend blau. Jetzt kann ich nicht mehr tauchen, stoße dagegen, alles zu, so sehr außen, so sehr kalt. Und dann plötzlich: Grunzen und Schmatzen, du Tier. Du Wesen. Verschwimmen, Verrenken, Verrecken. Alles runter, alles Mensch, weg damit, weg strampeln. Entleerung. Du windest dich raus aus der Menschlichkeit, loswerden, loslassen. Du verbleibst der Schatten deines Körpers. Du machst dich davon. Was bleibt, das Erstaunen. Es geht hier gar nicht um dich und mich.

Birte Opitz

Verflechtungen

Werkschau Isabelle Schad / Laurent Goldring im HAU3

Ein Verhüllen, das zugleich ein Enthüllen ist: In dem Solo „Der Bau“ wickelt sich Isabelle Schad in meterlange Stoffbahnen. Wie die Tänzerin auf Tuchfühlung geht und ihr Körper dabei einer ständige Metamorphose durchläuft, ist faszinierend. Anfangs steht sie nackt auf Bühne und lenkt den Blick auf die Materialität des Leibes. Mit einer rhythmischen Bewegung zieht sie dann den blauen Stoff über den Kopf.
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Das Tuch verbirgt die Tänzerin für Momente vollständig und entblößt dann wechselnde Partien des Körpers, die nun schutzlos erscheinen. Es ist kein erotisches Spiel mit der Entblätterung, das Schad hier anzettelt. Sie wirft und wirbelt den Stoff in die Luft, der zum dreidimensionalen Gebilde wird, sich aufplustert und zusammenzieht. Falten und Entfalten, Ein- und Auswickeln – ein fluktuirendes Formwerden kann man hier betrachten. Körper, Stoff und Raum werden von der Tänzerin immer neu in Beziehung gesetzt. „Der Bau“ ist permanentes Umbauen.

Der Titel „Der Bau“ bezieht sich auf Kafkas gleichnamige Erzählung, in der ein Tierbau beschrieben wird. Bei Schad wird der Stoff nicht zur festen Umkleidung, der sich bewegende Körper scheint sich fortzusetzen in dem wogenden Stoff. Einmal steckt der Kopf in einem Textilballen. Dann wieder erinnert die Hülle an einen riesigen Uterus. Am Ende erinnern die flüchtigen Gebilde auf der Bühne kaum noch an die menschliche Gestalt.

„Der Bau“ wurde zum Auftakt der Werkschau von Isabelle Schad und Laurent Goldring im HAU 3 gezeigt. Seit sieben Jahren arbeiten die deutsche Choreografin und der französische Künstler nun schon zusammen. Schad arbeitet mit Körperpraktiken wie dem Body-Mind-Centering, das gerade en vogue ist bei Tänzern und Nicht-Eingeweihten wie eine Geheimlehre anmutet. Dass sie es schafft, die Lebendigkeit des Körpers mit einem strengen Formdenken zu vereinen, ist nicht zuletzt das Verdienst von Goldring. Er brachte das Konzept des „Verstärkers“ ins Spiel – eine den Körper umhüllende äußere Schicht, die das Bildwerden von Bewegung unterstützt. Ein Verstärker können die Stoffmassen in „Der Bau“ sein oder ein überdimensionales Kostüm in der Reihe „Unturtled“. Oder eine Gruppe wie in „Collective Jumps“, wo die Glieder der 16 Tänzer sich zu wechselnden Mustern verflechten und verketten. Der Einzelne wird absorbiert von einem kollektiven Körper. Jeder ist fest eingebunden, dennoch ragt seine Besonderheit heraus, so dass „Collective Jumps“ nicht an die homogenen Massenkörper in totalitären Bewegungen erinnert. Das Stück war zuerst als Installation zu sehen und wird nun nochmal in der Bühnenfassung gezeigt. Auf dem Programm stehen außerdem die Solos „Unturtled #1 und #4“ sowie die Lecture Performance „An Un-Folding Process“.

SANDRA LUZINA

HAU3: bis 13.5.

KÖRPERBILDWERDUNGEN „On Visibility and Amplifications“ : Fünf Arbeiten von Schad und Goldring im HAU

Laurent Goldring spricht zum Publikum, um Stille zu überwinden. „Unturtled #4“ hat am letzten Abend der einwöchigen Werkschau der Kollaboration zwischen der Choreografin Isabelle Schad und dem bildenden Künstler seine Berlinpremiere.

Laurent Goldring spricht zum Publikum, um Stille zu überwinden. „Unturtled #4“ (2011) hat am letzten Abend der einwöchigen Werkschau der Kollaboration zwischen der Choreografin Isabelle Schad und dem bildenden Künstler seine Berlinpremiere. Während sie ihren Körper in einer übergroßen Hose und einem ebensolchen T-Shirt knetet, stellt er vom Bühnenrand eine umfassende Archäologie des Zuschauers auf. Zur Bewegungslosigkeit diszipliniert, sieht das Publikum, folgt man Laurent Goldring in seinen Überlegungen, nur noch Zeichen, wo doch Bilder sind. Hier übertönt er die Stille und damit die Zeichen, um Bilder zeigen zu können. Aus Isabelle Schad wird in diesem Moment ein Zweibein-Wesen, ohne Kopf, ohne Arme, ihr Körper derart in die Hose gefaltet, dass menschliche Anatomien überwunden scheinen. Man muss Laurent Goldring in seiner Genealogie des nach innen gerichteten Blicks, angefangen etwa bei US-amerikanischen Shopping Malls bis hin zum genuin angelegten Bezug des Militärs zur darstellenden Kunst, nicht gänzlich folgen. Was sich während seiner Ausführungen jedoch stetig im Bühnenraum mit Isabelle Schad herstellt, sind Bilder, ausgehend von einer spezifischen Körperästhetik.

Der Titel der Werkschau „On Visibility and Amplifications“ ist nicht nur angesichts dessen Programm : Die mittlerweile achtjährige Zusammenarbeit beider begann mit einer Auseinandersetzung um die Frage der Sichtbarkeit : „Ich glaube dir, was du machst, sehe es jedoch nicht“, entgegnete Laurent Goldring Isabelle Schad um das Jahr 2007, als diese ihn mit Körpertechniken des Body-Mind Centering und der Embryologie bekannt machte. Körperpraxen, die ihre Bewegungsmotivation nicht aus der äußeren Form, wie beispielsweise das klassische Ballett, schöpfen, sondern aus inneren Bildern von inneren Körperfunktionen. Die kritische Befragung von Körper(re)präsentationen beschäftigt Isabelle Schad bereits seit der Realisierung ihrer ersten eigenen Projekte um das Jahr 1999. Laurent Goldring wiederum prägt als bildender Künstler seit den 1990er Jahren eine spezifische Ästhetik des zeitgenössischen Tanzes. Wegweisend hierfür seien seine Kollaborationen mit Xavier Le Roy oder auch Saskia Hölbling, wie es die Tanzwissenschaftlerin Susanne Foellmer in ihrer Einführung zur Werkschau im HAU3 herausstellt.

Beide, sowohl Isabelle Schad als auch Laurent Goldring, machen den Körper zum Material ihrer künstlerischen Auseinandersetzung und führen den ZuschauerInnen dessen Konstruktivität bereits seit ihrer ersten gemeinsamen Produktion „Unturtled #1“ (2009) sichtlich vor Augen. Der auf zwei Beinen aufrecht stehende Körper, dessen Grenzen die äußerste Schicht, die Haut, markiert, basiert als ästhetisches Konstrukt auf sich stetig wiederholenden Repräsentationslogiken. In „Unturtled #1“ erweitert zunächst ein übergroßes Kostüm aus Hose und Hemd den Raum um den Körper. Dieser nimmt mit einem Mal ungewohnte Qualitäten an – seine Umrisse beschreiben irritierende Anatomien, die immer weniger zuordenbar sind. Zugleich hängt ein willenloser Kopf in einem sich verselbständigendem Kostüm, das einen Körper beherbergt, dessen Innerstes nach Außen drängt. In „Der Bau“ (2012/2013) wird dieser Körper weit in den Bühnenraum über meterlange Stoffbahnen, über Faltungen und Schichtungen entworfen, bis er schließlich zu einem immensen Körperstoffknäuel verklumpt und dieses sich langsam durch den Raum rollende Knäuel lebendigen Charakter annimmt. In der jüngsten Arbeit der beiden, „Collective Jumps“ (2014), welche an den ersten zwei Tagen der Werkschau zudem als Tanzinstallation zu begehen war, breitet sich der Körper nun über 16 TänzerInnen aus. Jedoch stellt sich in der eigenen Wahrnehmung kein Unbehagen ob jener Vergemeinschaftung ein. Was die TänzerInnen auf der Bühne etablieren, ist kein synchron agierender Kollektivkörper, in dem Individualität dem Prinzip der Masse weichen muss. Die anfänglich an volkstümliche Tanzreigen erinnernden und zu maschinellen Zahnrädern mutierenden Körperbilder werden alsbald aufgesplittet in einzelne Körper und dann doch wieder geschichtet zu einem Tanz der Gliedmaßen. Nichts weiter als die Utopie vom gemeinschaftlichen Subjektsein offeriert hier das Bühnengeschehen. In Form jener Körperbildästhetik eine wunderschön anzusehende Utopie.

Die Kollaboration von Isabelle Schad und Laurent Goldring verfolgt mit einer derart einzigartigen Kontinuität Methoden der Sichtbarkeit und darin der Sichtbarmachung. Darstellende und bildende Kunst verstärken sich in diesen Arbeiten wechselseitig – die Körperpraxen der Isabelle Schad kommentieren die Überlegungen des durch die Kamera gerahmten Blicks von Laurent Goldring und umgekehrt. Das Faszinierende an dieser Fusion – man muss im Grunde nur schauen und jene Körperbilder entstehen lassen. Darum spricht Laurent Goldring, um Stille zu überwinden und Bilder zu zeigen.

Maria Katharina Schmidt

Der Bau/”On Visibility and Amplifications”, Isabelle Schad & Laurent Goldring

“Dans la nature rien ne se crée, rien ne se perd, tout change.

In nature nothing is created, nothing is lost, everything changes.”

antoine lavoisier

Schad erblickt mich,- die Zuschauerin und beginnt mit der Körperarbeit an sich. Schultern, die den Rücken bewegen. Arme, die die Beine schlagen. Dringliche Bewegungen. Ein bewohnter Körper. Ein Körper, der bewegt wird, von Innen und von Aussen, durch Innen nach Aussen.Von Aussen nach Innen.Er scheidet ab und aus, würgt und bricht, möchte herausquetschen und loswerden. Schad arbeitet sich an ihrem Körper ab. Ich werde Zeuge von dem nicht Repräsentierbaren. Ich werde Zeuge von der Präsenz des nackten Körpers in seinem “So-Sein”.

Dann bearbeitet Schad den Stoff. Sie faltet, entfaltet, lässt ihn Wellen schlagen, schlägt ihn, schüttelt und (z)wirbelt ihn. Sie macht sich die Stoffbahnen zu Eigen, bewegt sie, klopft sie, erweicht sie. Die Stoffe verhüllen und enthüllen den nackten Körper. Es scheint als beschäftige Schad sich mit einer Stoffbahn solange, bis sie sich dieser bemächtigt hat und dann erst kann sie von ihr ablassen und sich der Nächsten zuwenden. Es entsteht eine Wechselspannung zwischen dem Körper allein und nackt im BühnenRaum und dem Körper im und am Stoff. Sie arbeitet und kämpft mit dem Stoff, sie liebt den Stoff und stösst ihn ab, aus und um. Dann wieder nehme ich sie in Eintracht mit dem Stoff wahr. Der Stoff dient als Medium um Raum zu generieren. Der Stoff als Befähigung. Der Stoff als Extension des Körpers und auch der Raum als Extension des Körpers. Schad gelangt zum Klimax- mit und durch den Stoff, um dann von ihm abzulassen, sodass die Stoffbahnen ausgebreitet und aufbereitet werden können. Schad legt sich darauf, rollt sich ein– erst nachdem alle fünf Bahnen bearbeitet wurden.

Figuration wird zu Defiguartion, Deformation zu Formation. Prozessualität, Fluidität und Transformation als Bewegungsmotor. Es entsteht ein methamorphes Körperbild-ein unfixierter,kippender und changierender Körper. Der Stoff transportiert die Bewegung in den Raum, die Bewegung wird verräumlicht. Wo ist die Körpergrenze ? Wird sie ausser Kraft gesetzt ? Materialien, die in ihrer Materialität, in ihrem “So-Sein”in den Vordergrund gerückt werden, den Raum generieren und dadurch verstärkt werden. Der Raum, das KörperMaterial und StoffMaterial sind verschränkt, bedingen sich gegenseitig, generieren sich und sind in ständiger Transformation begriffen. Geburt und Tod. Ein unaufhörliches Gebären und Sterben vollzieht sich vor mir. Die Beziehung in der Körper, Raum und Stoff zueinander stehen, möchte ich als Wechselspannung beschreiben. Durch den Raum und die Bewegungen erlangt der Stoff eine Dreidimensionalität, während der bewegte Stoff den Raum in seiner transistorischen Qualität verstärkt. Die Formen, die beständig zwischen Entstehen und Vergehen oszillieren, entbehren Deutungszuschreibungen.

Ich nehme die Form als nichts beständiges wahr, als unabgeschlossenes und als Etwas das ständig dem Wandel unterworfen ist. Nichts ist fertig, nichts ist Entität und nichts ist abgeschlossen. Schad beschreibt das “Dazwischen” -zwischen Raum, Körper, Stoffhülle und -Stoffenthüllung. Schad bearbeitet nicht nur ihren Körper und den Stoff, sondern auch den Raum und den Umraum, in den sie durch Körper und StoffMaterial eindringt, ihn durchdringt. Sie erschliesst, verschiebt und eröffnet sich den Raum- sie generiert Raum, der auch Körper ist-mit Hilfe des Stoffes, der auch Körper ist.

Parwanhe Frei