Ein Verhüllen, das zugleich ein Enthüllen ist: In dem Solo „Der Bau“ wickelt sich Isabelle Schad in meterlange Stoffbahnen. Wie die Tänzerin auf Tuchfühlung geht und ihr Körper dabei einer ständige Metamorphose durchläuft, ist faszinierend. Anfangs steht sie nackt auf Bühne und lenkt den Blick auf die Materialität des Leibes. Mit einer rhythmischen Bewegung zieht sie dann den blauen Stoff über den Kopf.
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Das Tuch verbirgt die Tänzerin für Momente vollständig und entblößt dann wechselnde Partien des Körpers, die nun schutzlos erscheinen. Es ist kein erotisches Spiel mit der Entblätterung, das Schad hier anzettelt. Sie wirft und wirbelt den Stoff in die Luft, der zum dreidimensionalen Gebilde wird, sich aufplustert und zusammenzieht. Falten und Entfalten, Ein- und Auswickeln – ein fluktuirendes Formwerden kann man hier betrachten. Körper, Stoff und Raum werden von der Tänzerin immer neu in Beziehung gesetzt. „Der Bau“ ist permanentes Umbauen.
Der Titel „Der Bau“ bezieht sich auf Kafkas gleichnamige Erzählung, in der ein Tierbau beschrieben wird. Bei Schad wird der Stoff nicht zur festen Umkleidung, der sich bewegende Körper scheint sich fortzusetzen in dem wogenden Stoff. Einmal steckt der Kopf in einem Textilballen. Dann wieder erinnert die Hülle an einen riesigen Uterus. Am Ende erinnern die flüchtigen Gebilde auf der Bühne kaum noch an die menschliche Gestalt.
„Der Bau“ wurde zum Auftakt der Werkschau von Isabelle Schad und Laurent Goldring im HAU 3 gezeigt. Seit sieben Jahren arbeiten die deutsche Choreografin und der französische Künstler nun schon zusammen. Schad arbeitet mit Körperpraktiken wie dem Body-Mind-Centering, das gerade en vogue ist bei Tänzern und Nicht-Eingeweihten wie eine Geheimlehre anmutet. Dass sie es schafft, die Lebendigkeit des Körpers mit einem strengen Formdenken zu vereinen, ist nicht zuletzt das Verdienst von Goldring. Er brachte das Konzept des „Verstärkers“ ins Spiel – eine den Körper umhüllende äußere Schicht, die das Bildwerden von Bewegung unterstützt. Ein Verstärker können die Stoffmassen in „Der Bau“ sein oder ein überdimensionales Kostüm in der Reihe „Unturtled“. Oder eine Gruppe wie in „Collective Jumps“, wo die Glieder der 16 Tänzer sich zu wechselnden Mustern verflechten und verketten. Der Einzelne wird absorbiert von einem kollektiven Körper. Jeder ist fest eingebunden, dennoch ragt seine Besonderheit heraus, so dass „Collective Jumps“ nicht an die homogenen Massenkörper in totalitären Bewegungen erinnert. Das Stück war zuerst als Installation zu sehen und wird nun nochmal in der Bühnenfassung gezeigt. Auf dem Programm stehen außerdem die Solos „Unturtled #1 und #4“ sowie die Lecture Performance „An Un-Folding Process“.
SANDRA LUZINA
HAU3: bis 13.5.
KÖRPERBILDWERDUNGEN „On Visibility and Amplifications“ : Fünf Arbeiten von Schad und Goldring im HAU
Laurent Goldring spricht zum Publikum, um Stille zu überwinden. „Unturtled #4“ hat am letzten Abend der einwöchigen Werkschau der Kollaboration zwischen der Choreografin Isabelle Schad und dem bildenden Künstler seine Berlinpremiere.
Laurent Goldring spricht zum Publikum, um Stille zu überwinden. „Unturtled #4“ (2011) hat am letzten Abend der einwöchigen Werkschau der Kollaboration zwischen der Choreografin Isabelle Schad und dem bildenden Künstler seine Berlinpremiere. Während sie ihren Körper in einer übergroßen Hose und einem ebensolchen T-Shirt knetet, stellt er vom Bühnenrand eine umfassende Archäologie des Zuschauers auf. Zur Bewegungslosigkeit diszipliniert, sieht das Publikum, folgt man Laurent Goldring in seinen Überlegungen, nur noch Zeichen, wo doch Bilder sind. Hier übertönt er die Stille und damit die Zeichen, um Bilder zeigen zu können. Aus Isabelle Schad wird in diesem Moment ein Zweibein-Wesen, ohne Kopf, ohne Arme, ihr Körper derart in die Hose gefaltet, dass menschliche Anatomien überwunden scheinen. Man muss Laurent Goldring in seiner Genealogie des nach innen gerichteten Blicks, angefangen etwa bei US-amerikanischen Shopping Malls bis hin zum genuin angelegten Bezug des Militärs zur darstellenden Kunst, nicht gänzlich folgen. Was sich während seiner Ausführungen jedoch stetig im Bühnenraum mit Isabelle Schad herstellt, sind Bilder, ausgehend von einer spezifischen Körperästhetik.
Der Titel der Werkschau „On Visibility and Amplifications“ ist nicht nur angesichts dessen Programm : Die mittlerweile achtjährige Zusammenarbeit beider begann mit einer Auseinandersetzung um die Frage der Sichtbarkeit : „Ich glaube dir, was du machst, sehe es jedoch nicht“, entgegnete Laurent Goldring Isabelle Schad um das Jahr 2007, als diese ihn mit Körpertechniken des Body-Mind Centering und der Embryologie bekannt machte. Körperpraxen, die ihre Bewegungsmotivation nicht aus der äußeren Form, wie beispielsweise das klassische Ballett, schöpfen, sondern aus inneren Bildern von inneren Körperfunktionen. Die kritische Befragung von Körper(re)präsentationen beschäftigt Isabelle Schad bereits seit der Realisierung ihrer ersten eigenen Projekte um das Jahr 1999. Laurent Goldring wiederum prägt als bildender Künstler seit den 1990er Jahren eine spezifische Ästhetik des zeitgenössischen Tanzes. Wegweisend hierfür seien seine Kollaborationen mit Xavier Le Roy oder auch Saskia Hölbling, wie es die Tanzwissenschaftlerin Susanne Foellmer in ihrer Einführung zur Werkschau im HAU3 herausstellt.
Beide, sowohl Isabelle Schad als auch Laurent Goldring, machen den Körper zum Material ihrer künstlerischen Auseinandersetzung und führen den ZuschauerInnen dessen Konstruktivität bereits seit ihrer ersten gemeinsamen Produktion „Unturtled #1“ (2009) sichtlich vor Augen. Der auf zwei Beinen aufrecht stehende Körper, dessen Grenzen die äußerste Schicht, die Haut, markiert, basiert als ästhetisches Konstrukt auf sich stetig wiederholenden Repräsentationslogiken. In „Unturtled #1“ erweitert zunächst ein übergroßes Kostüm aus Hose und Hemd den Raum um den Körper. Dieser nimmt mit einem Mal ungewohnte Qualitäten an – seine Umrisse beschreiben irritierende Anatomien, die immer weniger zuordenbar sind. Zugleich hängt ein willenloser Kopf in einem sich verselbständigendem Kostüm, das einen Körper beherbergt, dessen Innerstes nach Außen drängt. In „Der Bau“ (2012/2013) wird dieser Körper weit in den Bühnenraum über meterlange Stoffbahnen, über Faltungen und Schichtungen entworfen, bis er schließlich zu einem immensen Körperstoffknäuel verklumpt und dieses sich langsam durch den Raum rollende Knäuel lebendigen Charakter annimmt. In der jüngsten Arbeit der beiden, „Collective Jumps“ (2014), welche an den ersten zwei Tagen der Werkschau zudem als Tanzinstallation zu begehen war, breitet sich der Körper nun über 16 TänzerInnen aus. Jedoch stellt sich in der eigenen Wahrnehmung kein Unbehagen ob jener Vergemeinschaftung ein. Was die TänzerInnen auf der Bühne etablieren, ist kein synchron agierender Kollektivkörper, in dem Individualität dem Prinzip der Masse weichen muss. Die anfänglich an volkstümliche Tanzreigen erinnernden und zu maschinellen Zahnrädern mutierenden Körperbilder werden alsbald aufgesplittet in einzelne Körper und dann doch wieder geschichtet zu einem Tanz der Gliedmaßen. Nichts weiter als die Utopie vom gemeinschaftlichen Subjektsein offeriert hier das Bühnengeschehen. In Form jener Körperbildästhetik eine wunderschön anzusehende Utopie.
Die Kollaboration von Isabelle Schad und Laurent Goldring verfolgt mit einer derart einzigartigen Kontinuität Methoden der Sichtbarkeit und darin der Sichtbarmachung. Darstellende und bildende Kunst verstärken sich in diesen Arbeiten wechselseitig – die Körperpraxen der Isabelle Schad kommentieren die Überlegungen des durch die Kamera gerahmten Blicks von Laurent Goldring und umgekehrt. Das Faszinierende an dieser Fusion – man muss im Grunde nur schauen und jene Körperbilder entstehen lassen. Darum spricht Laurent Goldring, um Stille zu überwinden und Bilder zu zeigen.
Maria Katharina Schmidt
Der Bau/”On Visibility and Amplifications”, Isabelle Schad & Laurent Goldring
“Dans la nature rien ne se crée, rien ne se perd, tout change.
In nature nothing is created, nothing is lost, everything changes.”
antoine lavoisier
Schad erblickt mich,- die Zuschauerin und beginnt mit der Körperarbeit an sich. Schultern, die den Rücken bewegen. Arme, die die Beine schlagen. Dringliche Bewegungen. Ein bewohnter Körper. Ein Körper, der bewegt wird, von Innen und von Aussen, durch Innen nach Aussen.Von Aussen nach Innen.Er scheidet ab und aus, würgt und bricht, möchte herausquetschen und loswerden. Schad arbeitet sich an ihrem Körper ab. Ich werde Zeuge von dem nicht Repräsentierbaren. Ich werde Zeuge von der Präsenz des nackten Körpers in seinem “So-Sein”.
Dann bearbeitet Schad den Stoff. Sie faltet, entfaltet, lässt ihn Wellen schlagen, schlägt ihn, schüttelt und (z)wirbelt ihn. Sie macht sich die Stoffbahnen zu Eigen, bewegt sie, klopft sie, erweicht sie. Die Stoffe verhüllen und enthüllen den nackten Körper. Es scheint als beschäftige Schad sich mit einer Stoffbahn solange, bis sie sich dieser bemächtigt hat und dann erst kann sie von ihr ablassen und sich der Nächsten zuwenden. Es entsteht eine Wechselspannung zwischen dem Körper allein und nackt im BühnenRaum und dem Körper im und am Stoff. Sie arbeitet und kämpft mit dem Stoff, sie liebt den Stoff und stösst ihn ab, aus und um. Dann wieder nehme ich sie in Eintracht mit dem Stoff wahr. Der Stoff dient als Medium um Raum zu generieren. Der Stoff als Befähigung. Der Stoff als Extension des Körpers und auch der Raum als Extension des Körpers. Schad gelangt zum Klimax- mit und durch den Stoff, um dann von ihm abzulassen, sodass die Stoffbahnen ausgebreitet und aufbereitet werden können. Schad legt sich darauf, rollt sich ein– erst nachdem alle fünf Bahnen bearbeitet wurden.
Figuration wird zu Defiguartion, Deformation zu Formation. Prozessualität, Fluidität und Transformation als Bewegungsmotor. Es entsteht ein methamorphes Körperbild-ein unfixierter,kippender und changierender Körper. Der Stoff transportiert die Bewegung in den Raum, die Bewegung wird verräumlicht. Wo ist die Körpergrenze ? Wird sie ausser Kraft gesetzt ? Materialien, die in ihrer Materialität, in ihrem “So-Sein”in den Vordergrund gerückt werden, den Raum generieren und dadurch verstärkt werden. Der Raum, das KörperMaterial und StoffMaterial sind verschränkt, bedingen sich gegenseitig, generieren sich und sind in ständiger Transformation begriffen. Geburt und Tod. Ein unaufhörliches Gebären und Sterben vollzieht sich vor mir. Die Beziehung in der Körper, Raum und Stoff zueinander stehen, möchte ich als Wechselspannung beschreiben. Durch den Raum und die Bewegungen erlangt der Stoff eine Dreidimensionalität, während der bewegte Stoff den Raum in seiner transistorischen Qualität verstärkt. Die Formen, die beständig zwischen Entstehen und Vergehen oszillieren, entbehren Deutungszuschreibungen.
Ich nehme die Form als nichts beständiges wahr, als unabgeschlossenes und als Etwas das ständig dem Wandel unterworfen ist. Nichts ist fertig, nichts ist Entität und nichts ist abgeschlossen. Schad beschreibt das “Dazwischen” -zwischen Raum, Körper, Stoffhülle und -Stoffenthüllung. Schad bearbeitet nicht nur ihren Körper und den Stoff, sondern auch den Raum und den Umraum, in den sie durch Körper und StoffMaterial eindringt, ihn durchdringt. Sie erschliesst, verschiebt und eröffnet sich den Raum- sie generiert Raum, der auch Körper ist-mit Hilfe des Stoffes, der auch Körper ist.
Parwanhe Frei