Der zweite Tag der Potsdamer Tanztage bietet mit „Solo für Lea“ ein Fest der Körperlichkeit mit fließenden Bewegungen und gesichtsloser Weiblichkeit.
Von Lena Schneider, Kultur – PNN, Potsdamer Nachrichten, 01.06.2018
Potsdam Die Tanztage begannen mit großer, Publikum und Tänzer gleichermaßen durchrüttelnder Emotion. Und sie begannen grundsätzlich: „Wir tanzen nicht umsonst“, nannte die Compagnie Baninga ihre Performance, und das war durchaus politisch gemeint. Auch der Prolog „Le Grand Continental“ war ein solcher Vorstoß: Tanz als Eroberung des öffentlichen Raumes.
Read more
Tag zwei der Tanztage zeigte den Gegenentwurf zu solcherart Großoffensive: ein Kraftakt auch, ein Fest der Körperlichkeit – aber nach innen gerichtet. Nach der Explosion nun gewissermaßen die Implosion: eine kleine Bühne, darauf nur eine Frau. Keine Musik, geschweige denn peitschende Rhythmen. „Solo für Lea“ hat die Berliner Choreografin Isabelle Schad die Arbeit genannt. Der Titel bezieht sich auf die Schweizer Tänzerin Lea Moro, die hier auch auf der Bühne steht. Und so nüchtern, so bescheiden wie der Titel daherkommt, umreißt er doch schon alles, um das es hier geht: um die Frau auf der Bühne. Nicht mehr, nicht weniger. Und doch eine ganze Welt.
Verzerrten Körperfragmente
Die Abläufe in „Solo für Lea“ sind denkbar reduziert, in geradezu meditativer Intensität werden hier zunächst untänzerisch wirkende Bewegungen wiederholt: die Arme über dem Kopf verschränkt steht Lea Moro zu Beginn mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne, der Oberkörper, ein nimmermüdes Pendel, dreht sich hin und her. Minutenlang geht das so, bis der Körper auf der Bühne gar kein Mensch mehr zu sein scheint, sondern nur noch ein Konglomerat beweglicher Teile eines Menschen – und irgendwann nur noch geometrische Formen.
Später sitzt Lea Moro auf der Bühne, immer noch mit dem Rücken zum Publikum, nackt. Streckt sich, suhlt sich auf dem Boden, schiebt das Becken nach vorn. Und plötzlich versteht man, warum im Programmheft von Picassos Zeichnungen aus einem Strich die Rede ist: fließende Bewegung, gesichtslose Weiblichkeit. Sinnlich wirkt das, ja – und gefangen, geradezu autistisch. Bevor die aufflimmernde Erotik zu appetitlich werden kann, rutschen Moros Bewegungen durch winzige Veränderungen in Posen der Verstümmelung hinein. Man meint, amputierte Arme oder Beine zu sehen, einen kopflosen Rumpf. Diese Balance, die Moro hier schafft, der Tanz zwischen vollendeter weiblicher Form à la Picasso und verzerrten Körperfragmenten, ist ungemein virtuos. Und erinnert in jedem Moment daran, was für ein ungeheuer seltsames, hochkompliziertes Konstrukt der menschliche Körper ist: etwa wenn Moro nur ihre Rückenmuskeln tanzen lässt, minutenlang.
Gegen Ende ein Schnitt. Die Bühne ist jetzt mit Arbeitslicht ausgeleuchtet. Moro steht nackt da, den Kopf vornübergebeugt. Das Haar offen, bürstet sie sich mit den Armen über die Locken. Immer wieder und wieder. Ein Akt der Reinigung. Von unseren Blicken? Von den Picassos, die wir hier suchen? Verstörend ist das. Und auf seltene, unpompöse Art vollkommen.
Isabelle Schad schafft ein „Solo für Lea“
Lea Moro und Isabelle Schad sind erstmals gemeinsam in den Sophiensælen Berlin zu sehen
Veröffentlicht am 15.10.2016, von Maria Katharina Schmidt. Tanznetz.de
Berlin – „Da haben sich zwei gefunden“, raunt es durchs Publikum nebst ausdauerndem Applaus. Gefunden haben sich in „Solo für Lea“ Isabelle Schad und Lea Moro. Damit trifft eine beständige Avantgardistin zeitgenössischer Choreografie auf eine neue choreografische Hoffnungsträgerin, wie das Jahresmagazin „tanz“ Lea Moro jüngst auszeichnete. Jedoch lassen sich diese beiden Protagonistinnen der Freien Szene Berlins keineswegs allein mit derartigen Zuschreibungen begreifen, genauso wenig wie ihre gemeinsame Produktion „Solo für Lea“.
Lea Moro steht am Bühnenrand. Bis zum Applaus wird dieser Moment der letzte sein, in dem das Gesicht von ihr zu sehen ist. Es folgt Dunkelheit, doch bevor sich die Augen daran gewöhnen können, erscheint sie im erneut aufgedrehten Licht im Zentrum der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum, die Arme über dem Kopf, die Hände umfassen den jeweils anderen Ellenbogen, der Rippenbogen pulsiert, dadurch auch der Oberkörper bis zu den Armen und dem letzten Fingerglied. Abwechselnd umfasst sie mit den Händen die Handgelenke, Ellenbogen und Schultergelenke des jeweils anderen Arms. Bald beginnen die Arme unter der pulsierenden Wiederholung frei zu schweben, selektieren sich vom Rest des Körpers, der schwarz gekleidet vom Schwarz der Bühnenumgebung gänzlich geschluckt wird. Unter dem diffuser werdenden Licht zeichnen sich Lea Moros präzise bewegte Arme immer schärfer ab. Dazu eine Klanglandschaft aus Kratzen, Streichen, Schreiben, wie Pinselborsten auf Leinwand oder doch Filzstift auf Papier. Eine surreale Umgebung entsteht, in der Arme nicht mehr als Arme zu begreifen sind und Lea Moros Körper nicht als der einer Frau, nicht als der eines Menschen, denn ohne Gesicht, mit zahllosen Gliedmaßen, niemals aufrecht, im Grunde fremd. Zugleich ist der zergliederte Körper kein Unbekannter: Laurent Goldrings Bilderserie „Petite chronique de l’image“ (1995-2002) verhalf ihm zu erster Sichtbarkeit. Die derart unkonventionellen Perspektiven auf den Körper bewegten sich mit „Self Unfinished“ (1998) in der Kollaboration von Goldring und Xavier Le Roy schließlich auf die Bühne und steigerten sich in der kontinuierlichen Zusammenarbeit von Goldring und Isabelle Schad zu einem Höhepunkt des Unabgeschlossenen, dem das HAU Berlin im Jahr 2015 eine einwöchige Werkschau widmete.
In „Solo für Lea“ überlagern sich nun all diese Spuren: Die Körperpraxen der Isabelle Schad vom Body Mind Centering über die Embryologie bis zum Zen-Shiatsu sind durchzogen vom Kamerablick des Laurent Goldring. Der Körper von Lea Moro wiederum bereitet die Bühne für jene jahrelange Fusion aus Blick und Bewegung, Innen und Außen, Sichtbarkeit und Berührung, Bild und Tanz. Daher erscheint „Solo für Lea“ von Zeit zu Zeit wie ein Wiedersehen mit dem Körper der Isabelle Schad über den der Moro. Ein faszinierendes Wiedersehen gerade in jenen Momenten, die den Blick auf den nackten Rücken freigeben, den Oberkörper dabei auf die Oberschenkel gelegt, die Hände auf die leicht gebeugten Knie gestützt, die Haare kopfüber nach unten hängend. Lea Moro wiederum setzt mit ihrem Körper ihre ganz eigenen Spuren: Es entstehen frei schwebende Haarknäuel, kopflose Torsomenschen, Vexierbilder, die jedoch unaufgelöst im Dazwischen verbleiben, Körpercluster, deren Zusammenspiel eine wundersame Choreografie hervorbringt, kaleidoskopartige, psychedelische Figurationen, längst nicht so farbenfroh, jedoch mit immenser Sogwirkung, atmende Hautkugeln, deren Knochen und Muskelstränge ein Eigenleben führen, ein weiblicher Akt, der jedoch nie wirklich als Akt zu begreifen ist.
Das letzte Bild ist wunderbar klar gesetzt, ein haariger Punkt inmitten von Hautspiegelungen. Das Licht erlischt und bringt wiederholt die Erkenntnis mit sich, dass all diese Zuschreibungen nicht das zum Ausdruck bringen, was sich auf der Bühne gerade zeigte. In Angesicht von „Solo für Lea“ fehlen die Worte. Gerade darin lässt sich die choreografische Signatur einer Isabelle Schad erkennen, ebenso wie in der Ensembleleistung von Licht, Klang, Bewegung, Kostüm, Blick und Raum.
„Solo für Lea“ ist noch am 15. und 16. Oktober 2016 in den Sophiensælen Berlin zu sehen.
Plastisches Porträt
Isabelle Schad hat der Tänzerin Lea Moro ihr „Solo für Lea“ auf den Leib choreografiert
Eine Studie in Minimalismus, ein physisches Porträt und eine Skulptur in Bewegung ist das „Solo für Lea“. 2016 hat es Isabelle Schad eigens für die Tänzerin Lea Moro choreografiert, um die Rhythmen, Konturen, Farben und Energien ihres Körpers aufzuspüren. Reduziert sind die Bühnenelemente:
Moros Körper, schwarz gekleidet bis nackt, das Gesicht stets abgewandt, steht, kniet und liegt auf einem niedrigen Podest. Dämmrig blau bis fahl golden ist das Licht von Bruno Pocheron, der Sound von Damir Simunovic erinnert an Maschinelles, an Natur, ein anonymes Surren, Rattern, Reiben, Klacken über einem flächig-tonlosen Klang, mitunter Regen.
Mit repetitiven Bewegungen fokussiert Isabelle Schad einzelne Körperregionen der Tänzerin: anfangs rotiert Lea Moro ihren Oberkörper minutenlang von rechts nach links, die Unterarme über dem Kopf zusammengelegt. In kaum merklicher Veränderung verschränken sich Hände, liegen auf Schulterblättern, tauchen unter den Kragen als seien sie eigenständig, verhuscht zwar, aber selbstbestimmt. Ein Tanz der Körperglieder, des Torsos dann, der Rückenlinie. intim und sachlich. unbemerkt verrinnt die zeit, im meditativen Fluss von Körperhaltungen, von denen eine aus der anderen hervorgeht. Pose um Pose: entwickelt hat Schad das „Solo für Lea“ aus Shiatsu-Haltungen, die den Energiefluss in den Meridianen anregen sollen. Somatische Techniken nutzt Isabelle Schad schon länger – getanzt hat sie im klassischen Ballett und bei der Brüsseler Compagnie Ultima Vez, sie ist ausgebildete Zen-Shiatsu-Praktikerin, hat sich mit Embryologie und Body-mind-centering befasst, trainiert Aikido. Daneben prägt ein bildnerisches Interesse ihr Werk, das seit jeher im Grenzbereich von Tanz, Performance und Bildender Kunst navigiert. Auch im „Solo für Lea“ transformiert Isabelle Schad die fleischliche Apparatur und ihre Mechanik in eine lebendige Skulptur. Plastisch formt sie Moros Körper, mit knetend-wogenden Bewegungen: Muskelstränge treten hervor, Rückenwirbel wölben sich unter der monochromen Haut, anatomische Strukturen werden zu verschatteten Mulden und lichten Erhebungen. Glieder, grotesk gerundet, die Materialität von Haut und Haar: an Gemälde von Francis Bacon, Plastiken von Henry Moore oder Ingres’ „Odaliske“ lassen die Formungen denken. Schad selbst erwähnt Picassos „Zeichnungen aus einem Strich“. so skizzenhaft und doch in sich geschlossen wirkt auch das „Solo für Lea“ – ein vollendeter Entwurf.
Von Elena Philipp erschienen in FAZ Mousonturm
Frankfurt/Main_______
Isabelle Schad «Solo für Lea»
Lea ist Lea Moro. Ihr Nachname fehlt dem Titel, ebenso wie ihr Gesicht dem Stück fehlt. Sie zeigt es nicht. Sie ist ein Körper ohne Stirn. Das zu tanzen ist allein ein Kunststück: knapp eine Stunde sich so zu bewegen, dass niemand sieht, wer da tanzt. Sie meidet den Blick, damit wir besser gucken, wie sie ihre Arme über ihre sich hebenden Schultern legt, die sich ruckartig verdrehen, während sie ihre Hände wie zu einer Bohrspitze faltet. Der Sound dazu von Damir Šimunović macht glauben, dass ihre Gelenke knacken.
Zart modellierend fährt das Licht von Bruno Pocheron ihren immer nackter werdenden Körper entlang. Es betont das kräftige Fleisch ihrer Waden. Es rutscht das schwarze T- Shirt. Die Grübchen an ihrem entblößten Rücken werden als tiefe Schatten sichtbar. Die schwarze Hose schwindet. Die Zuschauenden betrachten einen schönen, prallen Hintern wie ein Gesicht.
Sie sitzt rücklings zu uns. Sie spreizt die Arme, und man schaut sogleich in die amorphe Lücke, die sich zwischen Armen und Rumpf auftut. Man betrachtet das Negativ, die Form des Raums, die sich ergibt, sobald man zwischen Arm und Rumpf ins Schwarze schaut. Sie legt die Arme an. Nun sieht sie aus wie ein Brathähnchen, bevor es auf den Grill gesteckt wird. Erfunden hat diese Körperskulptur Xavier Le Roy, verdoppelt wurde sie zuletzt durch die Tänzerinnen Poliana Líma und Ugné Dievaityté aus Litauen (tanz 12/14). Bei Lea Moro wird nun aus dem Huhn ein Ei. Sie macht ihren Rücken so rund, dass man an ihrem Körper entlang rückwärts auf die Evolution schauen kann.
In sieben Akten sieht und interpretiert das Publikum einen Körper wie ein Aktbild, ausgestellt in einem klinisch dunklen Raum – zur Uraufführung war es der Hochzeitssaal der Berliner Sophiensäle. Nichts soll ablenken, wenn sie ihren Haarschopf öffnet, sich nun erstmals zu uns dreht und die langen Haare tanzen, vor ihrem Gesicht. Die Haare verbergen auch ihren Busen. Ihre Hände heben sich über die Haare, als würde sie ein Kind wiegen, erst zärtlich, bald brutal, als würde sie ein Kind umbringen. Und doch entsteht dabei ein Bild von reiner Keuschheit, wieder und wieder, in jedem neuen liegenden Akt mit ab- gewandtem Gesicht. Manchmal wird ihr Körper schonungslos ausgeleuchtet, manchmal rückt ein splitterndes Geräusch die Nacktheit in die Nähe des Gefährlichen. Immer bleibt es ein intimer Raum, auch wenn dieser Körper sich keinerlei Intimität gönnt. Weil es ein Körper ohne Kopf ist. Georges Bataille nannte ihn «acéphale». Kopflos. Der Philosoph liebte das Wort, weil er glaubte, dass die im Kopf wohnende Vernunft hier nichts zu suchen hat. Wo kein Kopf im Weg steht, ist der Körper frei.
(..)
von Arnd Wesemann erschienen in tanz___oktober 2017
Monoplay, the international festival of dance solo held in Zadar and led by Artistic Directors Petra Hrašćanec and Sanja Petrovski, has confirmed the vision, professionalism and attitude of the Zadar dance scene, which has not lost its enthusiasm and its unusual passion for joint effort despite international success stories and visibility of a number of artists.
Milan Tomášik, David Hernandez and Isabelle Schad are not new names on the Croatian dance scene; however, with the performed solos, all three choreographers exceeded the expectations based on previously seen choreographies by showing great maturity in their artistic work and attitude.
Solo für Lea by Isabelle Schad has a completely different starting point of research and a peculiar visual poetics of an exposed body in continuous transformation. With this thoroughly refined masterpiece, the German artist, who is a frequent and generally acclaimed and successful guest and collaborator at Croatian festivals (let me remind you about Gradnja / Der Bau, which premiered at the 4th Ganz Novi Festival in Zagreb), fully achieved what she proclaims to be the artistic preoccupation: the experience of being present at a theatre event, which is merged with the experience of seeing an artwork belonging to plastic art, which brings us back to the historical term of the dancing body as a moving sculpture in a new, renewed way.
At the same time, the key fact is that Isabelle Schad found in dancer Lea Moro a collaborator for her concept and an excellent medium for exploring the sculptural artistry of the body.
Focused on the inner starting point, dedicated and precise in the impulse, repetition and shift of movements, in the continuous flow of revelations and shading of bodily landscape, in the active reshaping of actual body forms and curves into abstract forms. Moro is a performance space which creates meanings and evokes new associations.
written for: plesnascena.hr
by Maja Đurinović